Samstag, 27. August 2005

Kinder zu dumm zum Wählen?

Da man mich im Küchenkabinett hartnäckig kommentarlos läßt, dh. meine Kommentare nicht freischaltet, muß ich - bevor ich am Ende noch eine Küchenkabinett-Paranoia entwickle - ins eigene Blog zum Thema Kinderwahlrecht. (Na gut, von Küche verstehe ich nichts, dafür aber einiges von Kindern und manches von Politik.)
In der Küche jedenfalls wurde heftig debattiert über den "Kinderwahlrecht" genannten Vorschlag von Paul Kirchhof, Familien dadurch zu fördern, daß sie je nach Anzahl der Kinder mehrere Wahlstimmen bekämen. Das ganze dann Kinderwahlrecht zu nennen, ist absurd, wenn man sich die Diskussionsbeiträge in der Küche dazu anschaut: Erwachsene überlegen da, welchem der Erwachsenen in der Familie - Vater, Mutter, Tante - diese Stimmen zustünden. Ja herrgottsack, geht mir da der Draht aus der Mütze! Würde man Frauenwahlrecht so verstehen, daß die Ehemänner der Frauen dann zwei Stimmen hätten? Neinneinnein! Das ist nicht etwas ganz anderes! Denn in der historischen Diskussion ums Frauenwahlrecht kamen tatsächlich genau die analogen Vorstellungen der üblichen Kommentare zum Kinderwahlrecht heute: Frauen seien zu dumm, um zu wählen. Die Selbstverständlichkeit, mit der allgemeine Einigkeit darin vorausgesetzt wird, Kinder seien zu dumm zum Wählen, zu hinterfragen, erntet noch überall Unverständnis. Und statt aus der richtigen Überlegung, es gäbe leider auch viele dumme Erwachsene, die Schlußfolgerung zu ziehen, daß "Klugheit", verdeckt unter dem Begriff "Mündigkeit" also kein Kriterium für das Wahlrecht sein kann, wird doch auch noch tatsächlich vorgeschlagen, eine "Mündigkeitsprüfung" für Familien einzuführen, damit man diejenigen von ihrem letztverbliebenen Recht, formale Demokratie auszuüben, auch noch ausschließen könnte, die als gesellschaftlich Exkludierte nicht die Gewähr dafür bieten, die "richtigen" Parteien zu wählen. Ohoh! Wenn jemand ausgeschlossen gehörte, dann wohl diese Vorschläger, jedenfalls solange sie nicht einen Nachhilfekurs in Demokratieverständnis absolviert haben.
Daß Kinder sehr wohl in der Lage sind, ihre Interessen zu formulieren und zu prüfen, wer diese am besten vertreten könnte, ja, daß sie sogar in der Lage sind, selbst aktiv Politik zu machen, zeigt das Beispiel Craig Kielburgers, der mit 12 Jahren die Organisation Free The Cildren gründete, die sich überall auf der Welt um die Kinderrechte und den Schutz von Kindern gegen Ausbeutung und Übergriffe durch Erwachsene kümmert. Ganz berühmte Geschichte. Wer kennt einen Erwachsenen in seiner privaten Umgebung, der ein derart hohes Maß an politischer Mündigkeit vorzuweisen hätte? Nun wird man natürlich einwenden, ein Craig Kielburger sei nunmal eine Ausnahme, ebenso wie ein 12-jähriger als Mathegenie-Doktorand eine Ausnahme darstelle. Schon richtig. Aber niemand würde deshalb behaupten, Kinder könnten keine Mathematik, weil sie Kinder sind. Von Mathematik-Mündigkeit habe ich jedenfalls noch nirgendwo gehört. Warum soll es mit Politik denn anders sein? Übrigens hat Craig Kielburger - obwohl Initiator - nicht allein Politik gemacht. Die vielen Kinder, mit denen er in seinem Team zusammengearbeitet hat: auch Ausnahmen? Free The Children, eine internationale Organsisation mit Gruppen in der ganzen Welt und tausenden von Mitgliedern, wird ausschließlich von Kindern betrieben. Man sieht: Zu untersuchen wäre, warum nicht alle Kinder so politikklug sind wie Craig - oder man könnte untersuchen, warum es so viele dumme Erwachsene gibt, obwohl sie wahlmündig sind.
Ich stelle mir ein Kinderwahlrecht vor: Die Politiker müßten die Kinder genauso ernst nehmen wie sie es bei den Erwachsenen tun: Als bedeutsamen Teil der Bevölkerung, auf deren Entscheidungen man Rücksicht zu nehmen hätte und die man zufrieden stellen müßte. Die Spielzeugindustrie jedenfalls hat keine Probleme damit. Sie hat die Kinder schon seit langem als ernst zu nehmende Konsumenten entdeckt und umwirbt sie von vorne bis hinten. Was tun denn die Politiker anderes mit ihrer Wahlwerbung um die Erwachsenen?
Bild: Ivan Montero / fotolia

shift.

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