Freitag, 15. Mai 2009

Was ist dran an der Zweigliedrigkeit?

Nachdem auch nach dem PISA-Schock 2000 die Schulstruktur als Thema des bildungspolitischen Diskurses noch jahrelang bildungspolitisch tabuisiert und mit der Diffamierung als "ideologischer Grabenkampf" abgewehrt wurde, ist sie nun doch noch als wichtig für die Rekonstruktion des gescheiterten Bildungssystems von der Bildungspolitik entdeckt worden. Derzeit machen vor allem Konzepte zur Schulstruktur-Reform unter dem Begriff der Zweigliedrigkeit Furore. Sie erscheinen als der avancierte Schlüssel zur Überwindung der Dysfunktion des Systems und zu seiner Modernisierung.

Aber sind sie wirklich der Weisheit letzter Schluss?
Kann die Reduktion der Mehrfachgliederung des Systems auf eine Zweigliedrigkeit die Probleme des deutschen Schulwesens wirklich lösen? Kann das berühmte Deutsche Gymnasium erhalten werden und doch gleichzeitig die negativen Effekte der selektierenden Unterscheidung von Schülern in gymnasial bildbar/nicht gymnasial bildbar vermieden werden? Oder handelt es sich bei dem Konzept der Zweigliedrigkeit um einen neuen Versuch der Quadratur des Kreises, einen neuen Versuch, sich zu waschen ohne nass zu werden? Was ist wirklich dran an dem bisher radikalsten Reform-Modell der Bildungsministerien - in Hamburg und Berlin?

Brigitte Schumann war 16 Jahre Lehrerin an einem Gymnasium im Ruhrgebiet und 10 Jahre Bildungspolitikerin im Landtag von NRW. Sie hat über die Sonderschule für Lernbehinderte an der TU Berlin promoviert und ist derzeit als freie Bildungsjournalistin tätig.
Über Georg Linds Bildungsinfo erreichte mich Brigitte Schumanns ausgezeichneter Beitrag zu diesem Thema. Ich halte ihn für eine großartige Diskussionsvorlage und erhielt von ihr die Erlaubnis, ihn hier zu (erst-)veröffentlichen und zur Debatte zu stellen.

Brigitte Schumann argumentiert und begründet in ihrem Aufsatz "Pragmatische Scheinlösungen oder ein demokratisches Schulsystem? Wider die Zweigliedrigkeit" auf der Grundlage empirischer Befunde, warum dieser Reformansatz nicht geeignet ist, die Aussortierung unserer Kinder nach sozialer Herkunft und die damit verbundene Chancenungleichheit im Zugang zur derzeit bestmöglichen Bildung in der Republik zu beenden. Sie erklärt außerdem, warum nicht einmal das deutsche Gymnasium die beste Bildung für ihre eigenen Zöglinge ermöglicht. "Das Gymnasium sichert Bildungsprivilegien" sagt sie. Es ist in erster Linie diese Funktion, die das Gymnasium bedient - nicht die der bestmöglichen Bildung.

"Es ist wahrhaftig nicht die Pädagogik des Gymnasiums, die seine Beliebtheit bei gymnasialorientierten Eltern ausmacht. Im Gegenteil, ist doch die pädagogische Qualität des Lernens mit der Verkürzung der Lernzeit bis zum Abitur auf 8 Jahre (G8) noch stärker gesunken. Nach einer aktuellen Untersuchung ist fast jeder zweite Schüler am Gymnasium inzwischen auf Nachhilfe angewiesen."

"Schule in der Demokratie sieht anders aus. Eine Zwei-Klassen-Lösung vertieft im Angesicht der Finanz-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktkrise schon vorhandene gesellschaftliche Segregationsprozesse, wie wir sie z.B. auch als Folge einer versäumten Integrationspolitik für Migranten in Deutschland heute wahrnehmen. Eine solche Entscheidung ist grundsätzlich dysfunktional zu dem Anspruch auf Bildung in einer demokratischen Gesellschaft."

Hier der ganze 5-seitige Artikel "Pragmatische Scheinlösungen oder ein demokratisches Schulsystem? Wider die Zweigliedrigkeit" von Brigitte Schumann. Es lohnt sich, sich mit ihren Thesen, Argumenten und den von ihr genannten empirischen Befunden auseinanderzusetzen. Es lohnt sich nicht nur, sondern ist m. E. ein Muss, wenn man in dieser Sache auf einer Grundlage mitreden möchte, die über ein bloß subjektivistisches Alltagsverständnis aus der eigenen Praxiserfahrung hinausgeht.

BrigitteSchumann_WiderDieZweigliedrigkeit (pdf, 105 KB)

Sonntag, 19. April 2009

Ende der Kreidezeit!

Reflexionen zur Nachbereitung der Tagung Ende der Kreidezeit? Ne(x)t generation learning
#limedien09

1. Weitsicht statt Nachklapp

Norbert Rosenboom, Leiter des Amtes Bildung der Hamburger Schulbehörde, versprach auf der Tagung , 60 Millionen Euro dafür auszugeben, alle Klassenräume in allen Schulen mit einem Internetzugang auszurüsten. Jubel! Natürlich freut sich jeder Lehrer, dass er nun nicht mehr auf die langfristige Vorausbuchung des einzigen Computerraums der Schule angewiesen ist, wenn er das Internet irgendwie in seinen Unterricht einbetten möchte. Ist das Geld so aber auch wirklich gut ausgegeben? Sollten wir nicht lieber erst noch einmal darüber nachdenken, wohin die Reise geht, bevor wir die Kutsche wählen? Wollen wir die Bildung im Klassenraum (Unterricht) konservieren, oder wäre es gut über die Klassenräume und den Unterricht hinaus zu denken (und zu investieren)? Müssen wir alle Einzelschritte in der nachholenden Medien- und Bildungsentwicklung gehen, wo wir doch sowieso schon soweit hintendran sind? Müssen wir alle Erfahrungen, die weltweit schon vorliegen, selbst wieder neu machen? Könnten wir mit längerfristiger Vision und Vorausplanung (über die nächsten 10 Jahre) nicht viel mehr erreichen als mit den kleinen und immer teureren Trippelschritten?
Es wäre sicher viel weitsichtiger für die Stadt und das Land Hamburg, die ganze Stadt mit Spots und kostenlosem WLAN für alle Einwohner auszurüsten. Das wäre wirklich etwas gegen den digital (und social und educational) divide! Und wir wären zwar nicht die erste Stadt auf der Welt - aber die erste in Deutschland! Und das erste Bundesland dazu! Und was, wenn wir das Beispiel Portugals nachahmen würden, jedem Kind ein mobiles Endgerät (derzeit Netbook, iPhone) als Begrüßungsgeschenk für seinen Eintritt in die Welt als Bürger Hamburgs zu machen? Woher das Geld? Nun: Man könnte den Bildungsetat und den Etat der Stadtentwicklungsbehörde zusammenlegen in dieser Frage. Das ergäbe schon viel mehr als die 60 Mio. (Touristen könnten zahlen für den Eingang ins Netz). Vielleicht würde man mit einer solchen Maßnahme auch viel mehr innovativ creatives in die Stadt locken, als mit der Mega-Hafencity. Man könnte außerdem einen Großteil des Etats für Lehrmittel dafür verwenden und die Anschaffung teurer Schulbücher zusammenstreichen, die nun mal ums Verrecken keinen Hypertext enthalten können. Man könnte endlich ernst nehmen, dass der Computer nicht einfach ein Additum zu den bisherigen Medien ist, sondern das neue Leitmedium, das sich außerhalb der Schule schon lange überall durchgesetzt hat. Oder würden wir etwa heute noch Bushaltestellen neu mit einer gedruckten Anzeigetafel ausrüsten anstatt mit digitaler Anzeige? Warum folgen wir nicht der gleichen Logik in der Bildungsplanung?

2. Epoche des untergehenden Unterrichts

Beat Döbeli hat einen großartigen Vortrag auf der Tagung gehalten. Wie bei allen seinen Vorträgen war auch dieser wieder ein Genuß an Vortragsdesign. (Er steuerte seine Performance vom iPhone aus und machte damit ein wichtiges Stück des Leitmediums erlebbar - nicht nur ein tool.) Ein Kunstwerk eben. Ausgezeichnete Visualisierungen. Angetan hat es mir insbesondere die Buchschneidemaschine, mit deren Hilfe Döbeli seine Bücher in Einzelseiten zerlegt - gleichsam entbindet -, um sie digitalisieren zu können. Zerstören, um im neuen Medium aufzuheben. Herrlich! Zum Kunstwerk gehörte auch, dass er durch die Aula rannte, um ganz hinten einem Teilnehmer, der uns einen Text in Schwizerdütsch übersetzen konnte, eine große Toblerone zu überreichen. Die m. E. wichtigste Botschaft seines Vortrags war diese:

Der Computer ist
  • ein Versprechen
  • eine Chance
  • ein Druck
  • nicht die Lösung

Ein Versprechen auf die Zukunft, in dem die (für die Gattungsentwicklung nötigen) Visionen und Utopien der Verbesserung der Lebensbedingungen enthalten sind.
Eine Chance, diesen Visionen einen Schritt nächer zu kommen.
Ein Druck, der den stattfindenden Formationswechsel in allen Bereichen der Gesellschaft erzwingt. (Selbst derjenige, der den Computer (das Internet, die social media des Web 2.0) ablehnt, kann ihn ja eben auch nicht ignorieren und nicht nicht Stellung beziehen.)
Nicht die Lösung, weil neue Technologie neue Lösungen zwar als Potenzialität enthält, aber nicht die Lösungen selbst ist, nicht mit ihnen identisch ist.
Diese vier Kennzeichen müssen wir uns immer wieder klarmachen. Sie sind auch enthalten in der Vorstellung Michael Gieseckes, der IK-Medien Katalysatoren des gesellschaftlichen Formationswandels nennt. Katalysatoren beschleunigen eine Entwicklung; sie richten die Reaktionen in eine bestimmte Richtung; sie minimieren die benötigte Aktivierungsenergie - aber sie bewirken nicht die konkret historische Lösung selbst.
Schade, dass Döbeli am Ende seines Vortrags eine Vorstellung angeboten hat, womit er sich selbst widerspricht. Zumindest macht er dieses Missverständnis möglich: Er legte durch die Aussage "Kein Ende der Kreidzeit", alle Medien sind gleichberechtigt, die Vorstellung nahe, dass der Computer bloß ein neu hinzugekommenes Werkzeug, das also zu den schon bestehenden zu addieren und auf gleicher Ebene mit den alten zu sehen sei. Daß wir Lehrer uns also den Computer zu Tafel und Schulbuch in den Unterricht hinzuzuholen hätten, um dann - unter den Prämissen der alten Schule und Didaktik - jeweils nach Unterrichtsprogramm zu entscheiden, welche dieser Medien wir gerade als "Mittel" einsetzen.
Ich sehe es anders: IK-Medien sind nicht einfach Unterrichtsmittel. Der Computer ist das globale Leitmedium geworden, unter dem alle bisherigen Medien ihren neuen Platz finden müssen. Die Potenziale des Leitmediums Computer für Lernprozesse wird man nicht erschließen können, wenn man sie nur auf der Grundlage der Potenziale der alten Medien beurteilt. Wenn man dies tut, kann man die neuen Möglichkeiten, die man ja noch gar nicht kennt, nicht erproben, entwickeln, emergieren lassen. Immer steht im Weg die Erfahrung mit dem alten Medium, die dann in der Aussage mündet: Wieso, mit Tafel und Kreide / mit dem Stift auf Papier usw. geht doch alles viel schneller und besser und unabhängiger von teuren Geräten und dem (noch nicht vorhandenen) Netzzugang. Kreidetafel, Stift und Papier müssen stattdessen "umziehen" - im Raum, in der Medienkonstellation, im Kopf, in der eigenen Praxis. Aus der Logik des Unterrichtens (der Lehrer plant den Lernprozess in Unterrichtsform, d.h. er plant seinen Lehrprozess, dem die Schüler "aufnehmend" folgen sollen), kommen wir nicht hinaus zur Logik des Lernens (die Lerner bestimmen und planen ihre sinnbildenden Lernprozesse mithilfe eines Coaches, eines Experten für Lernprozessgestaltung), wenn wir einen Computer in den Unterricht und seinen Klassenraum einführen. Dieses Setting bzw. Design verstellt die Realisierung der noch unbekannten tatsächlichen Potenzialitäten, weil sie gar nicht in den Horizont geraten können.

3. Freiräume zur Gestaltung des Übergangs in eine Epoche selbstreflexiver Lernkultur

Derselbe Norbert Rosenboom hat uns eine noch wichtigere Botschaft gebracht als die des Netzzugangs in allen Klassen: Die Behörde wünsche ausdrücklich, dass Experimente mit der inneren Schulstruktur gemacht werden. Jede Schule kann selbst bestimmen, wie sie die Lernzeit rhythmisiert, wie sie ihre Lerngruppen zusammensetzt, wie sie ihre Lernorganisation designt. Das ist ein Freiraum, von dem andere Bundesländer nicht mal träumen dürfen. Nutzen wir ihn! Wer weiß, wie lange das Fenster offen steht. Einzige Bedingung, die Rosenboom nennt: "Zum Wohle des Schülers". Nehmen wir mal hin, daß das Wohl des Schülers oder der Schüler nichts Objektives ist, sondern immer konkret der Interpretation bedarf. Es ist ein Auszuhandelndes (in erster Linie mit den Lernenden selbst, denn Kinder sind Experten ihrer selbst; aber ebenso mit ihren Eltern, den Lehrerkollegen, den Vorgesetzten, der Schulaufsicht). Wir müssen uns also um die Entwicklung einer demokratischen Schulkultur, einer wirklichen Partzipation der gesamten Schulcommunity, kümmern. Es zwingt außerdem zur ständigen Legitimation vor allem von Veränderungen der bisherigen Praxis gegenüber denjenigen, die um den Erhalt der alten Praxis und deren Regeln und Strukturen kämpfen. Dazu muss man die Stellen in den gegebenen Vorschriften kennen: Sie liegen in HH im Schulgesetz, in den Schulbriefen der Schulsenatorin und im Orientierungsrahmen Schulqualität. Und diese bieten einen viel weiteren Bedingungsrahmen als viele von uns bisher realisiert (wahrgenommen im Geiste), geschweige denn realisiert (umgesetzt in konkrete Realität) haben.

4. Ich habe viel gelernt auf der Tagung

Nicht alles ist mir davon schon bewusst geworden. Und nicht alles, was ich bis heute von dem, was mir bewusst wurde, schon reflektiert habe, kann oder möchte ich kommunizieren. Aber von zwei Workshops, die ich besucht habe, möchte ich schwärmen:
Die Veranstaltung von Daniel Röhe (hier sein Unterrichtsblog), "Weblogs im Alltag einer Schule", der in der einen Workstunde mit etwa 35 Teilnehmern gleichzeitig vortrug, zum Bloggen anleitete und bei hoch individualisierter Tätigkeit der Teilnehmer mit einer ständig wechselnden Gruppe Gespräche führte. Ich selbst habe dabei zum ersten Mal geübt, den Gegenstand meiner Aufmerksamkeit ständig neu zu bestimmen. Ich habe das gemeinsame Workshopblog abgesurft und kommentiert, das Unterrichtsblog untersucht, Röhe bei der Worshopleitung beobachtet und vorgemerkt, was ich davon lernen möchte (nicht zuletzt seine kluge und sorgfältige Vorbereitung), die Teilnehmer beobachtet und festgestellt, dass alle zufrieden waren, weil sie das lernen konnten, was sie individuell brauchten, und nebenher ständig meine Beobachtungen und Gedanken getwittert, mein Wong mit wichtigen Links aus dem Workshop aktualisiert und eine Wordseite als Protokoll geführt. Ich hatte mindestens 3 Paar Ohren, 3 Paar Hände und 3 Gehirne. Das konnte ich nur mit meinem Notebook auf dem Schoß und dem - zum Glück funktionierenden - WLAN. Das Netz hat mir die Vervielfältigung meiner Organe ermöglicht. Ich war nachgerade glücklich. Ich habe erlebt, was Leont'ev die Erweiterungen der biologischen Organe (hier der Hirnfunktionen) des Menschen durch die Schaffung von Werkzeugen und Maschinen (Computer) bezeichnet. Und ich habe gesehen, dass es möglich ist, 35 Menschen gleichzeitig individuell und kollaborativ lernen zu lassen - Voraussetzung: Alle hatten diese Maschinen zur Erweiterung ihrer Organe auf dem Schoß.

Der Workshop bei Sabine Choinski-Schubert (hier ihre ppt- (pdf, 1,053 KB)) zu "Weblogs für Schülerinnen, Schüler und Eltern am Beispiel der Schule Zitzewitzstraße" war ganz anders. Er gefiel mir vor allem deswegen, weil Sabine ihr Wissen hoch anschaulich konkret ausbreitete und Geschichten aus der Praxis erzählte. An dem Blog ihrer Klasse einer Sonderschule (Sprachheilschule) konnten einige bloggen lernen. Es wurde ein wirklicher organisierter Erfahrungsaustausch von Praktikern. Schade, dass nur wenige Teilnehmer diese Möglichkeit nutzten, aber gleichzeitig gab es bei Ralf Appelt den Workshop "Weblogs als interaktives Medium im Bildungsalltag für lebenslanges Lernen", der gut besucht und auch praxisorientiert war. Auch von diesem Blog-Workshop hörte ich nur Gutes.

Übrigens: Ist es Zufall dass die guten Praxisbeispiele, mit dem Medium Blog zu lernen, ausgerechnet in Sonderschulen auftreten? Möglicherweise nicht. Schon immer haben pädagogische Innovationen ihren Ausgang häufig in der "Behindertenpädagogik" genommen. (Die Geschichte der kulturhistorischen Psychologie ist voll davon.) Vielleicht ist das auch ein Druck, der Innovationen erzwingt. Wenn gar nichts mehr geht, dann bleibt nichts mehr übrig, als Neues zu erfinden und zu erproben.

Aus meinem eigenen Workshop "Weblogs - Chance für die Schülerpartizipation" (hier die Slides, die ich aber nur als Steinbruch benutzte und NICHT als Vortrag1 (rtf, 52 KB)) habe ich auch gelernt:
  • Wenn man die Teilnehmer auffordert, ihre Praxiserfahrungen (statt bloß Fragen zu einem Vortrag) einzubringen, dann bringen sie!
  • Es ist nicht so einfach, in einer einzigen Stunde Erfahrungen der TN diskutieren zu lassen, zu zeigen, was man zu diesen Erfahrungen selbst zeigen möchte, und gleichzeitig mit völlig divergierenden Erwartungen konfrontiert zu sein, weil keiner vorher Zugang zum Abstract hatte
  • erneute Bestätigung meines Verdachts: mit Commsy u.ä. Plattformen zur Organisation gemeinsamen Lernens hat man seine liebe Not (nirgends waren z.B. die abstracts der Vorträge und Workshops zu sehen. Die Commsyräume waren für "hinterher" gedacht, zum Material ablegen und für das Feedback der TN.) Nichts ist dagegen so multifunktional organisierend und Information wie Kommunikation vorher, während und nach einer Tagung ermöglichend und dabei so leicht und schnell zu handhaben wie ... ein Blog.
Und schön: So viele Blog-Workshops! Die Lehrer werden immer interessierter. Was sogar von bloggenden Lehrern selbst vor kurzer Zeit noch als "Hype" gesehen wurde, in angelsächsischen Ländern jedoch schon vielerorts zum Schulalltag gehört, das könnte auch in Hamburg Normalität werden: Dass kein Lehrer, keine Lerngruppe, keine Schulcommunity mehr auf die Potenziale dieses Mediums fürs Lernen verzichten möchte.

Update: einen andere Auswertung gibt es bei Anja Fortscher

Donnerstag, 9. April 2009

Lernumgebung am 17./18. April

Schade, dass manche Entscheidungen schon getroffen sind. Gerne wäre ich am 17./18. April auf dem Educamp in Ilmenau. Pimp your education ist ein tolles Motto. Und die in diesem internationalen Podium auftretenden Experten versprechen das Thema wirklich aus der Perspektive des Lernens (von Individuen und Organisationen) im Web 2.0-Zeitalter anzupacken.
Aber ich werde am 17./18. April stattdessen hier sein: Das Ende der Kreidezeit? - Ne(x)t generation learning. Eine Tagung für die Lehrerfortbildung am LI Hamburg. Das wird eine Bearbeitung des Themas Erziehung und Unterricht sein, das die Hamburger Lehrer da abholt, wo sie (in der Regel) sind: bei Skepsis bis Neugier, was denn ihre Schüler so alles im Netz treiben, und bei der Frage, ob und was davon etwa für den Unterricht fruchtbar zu machen wäre. Ich hoffe, dass in meinen Workshop Weblogs - eine Chance für die Schülerpartizipation nicht nur Lehrer (Klassenlehrer, Verbindungslehrer und Schulleiter), sondern auch Schüler (Klassensprecher, Schulsprecher, Stufensprecher) teilnehmen werden. Natürlich reicht Hoffen nie. Man kriegt nur, was man selbst vorbereitet - sagt mein Kollege von der Projektdidaktik immer. Daher habe ich mich ein bißchen darum gekümmert, dass engagierte Schüler davon erfahren.

Sonntag, 5. April 2009

My re:publica 09

re:publica? Davon hatte ich zwar schon "gehört" - also im Netz gelesen -, aber dass sie etwas für mich sein könnte, hatte ich bis zum 2. April 09 nicht gedacht. Was sollte eine in die Jahre gekommene Lehrerin mit einer riesigen Ansammlung von jungen Nerds - und dann auch noch f2f ? Meine Güte!
Aber Martin Riemer hat mich bequatscht und Tanja Haeusler hat mich eingeladen zu kommen und dort in einem Panel mit der Jugend zu sitzen und einen Vortrag zu halten. Danke für die Einladung und für die Überredungskünste - denn schließlich habe ich mich doch getraut. Zum Glück, denn sonst hätte ich wirklich viel verpasst. Nachträglich weiß ich, dass ich auch den ersten Tag nicht hätte verpassen dürfen. Schade, dass ich erst am zweiten Tag nachmittags dazustieß.
So viele interessante Vorträge, Gespräche, Kontakte ...
Gut gefallen haben mir Tina Guenthers Vortrag Digitale Identität und Christiane Links Beitrag zum selben Thema. Auch von Jan Schmidts Vortrag Das neue Netz habe ich viel mit nach Hause genommen, obwohl noch einiges zu diskutieren offen bleibt. (Nicht zuletzt die Wahl seines Hamburger Fußballvereins ;-() Ein bißchen enttäuscht war ich von Jimbo Wales und auch von Mary C. Joyce Vorträgen. Sie bestätigten nur, was schon bekannt war. Aber sehr gerne hätte ich die beiden natürlich als Speakers in meinem Institut!

Besonderes Highlight war mir Esra'a al Shafei mit ihrer spannenden Präsentation Political evolution und für meine Praxis äußerst nützlich außerdem die Vorstellung der Jugendplattformen im Workshop Jugendbildung - soziale Software sowie Jöran Muuß-Merholz und Guido Brombachs Schulen ins Netz. Bestimmt ergeben sich Möglichkeiten zur Zusammenarbeit!

Mein Vortrag Ne(x)t Generation? Bildung im Übergang von der Arbeitsgesellschaft zur selbstreflexiven Lerngesellschaft hat hervorgerufen, was ich mir am meisten wünschte: Widerspruch und Diskussion, kritische Einzelgespräche aber ebenso auch viel zustimmendes Feedback. Vielen Dank an alle.

Donnerstag, 19. März 2009

Jugendliche Massenmörder

Es hat sich gelohnt, nach dem Ereignis in Winnenden zu warten und die ersten Reaktionen in der Öffentlichkeit zu ignorieren, die ja die altbekannten gewesen sind, da sie entweder auf dem Pfeiffermodell oder auf seinem Gegenteil beruhen. Heute steht im "langen Text" der taz eine erste brauchbare Analyse von Wilhelm Heitmeyer. "Doppelter Kontrollverlust" und "Anerkennungszerfall" sind in seinem Aufsatz zentrale Begriffe, die vieles erklären. Auf den allseits ertönenden Ruf nach Werte- und Normenerhalt (oder Rückgewinnung) hat Heitmeyer am Ende seiner Analyse eine wichtige Antwort:

"Wir haben es nicht mit einem 'Werteverfall', sondern mit einer Wertepluralisierung zu tun. Aber auch Wertepluralisierung erzeugt Probleme der Geltung von Normen: Grenzen werden strittiger und Grenzüberschreitungen häufiger. Die Debatte setzt auf die Verbreitung von proklamierten Werten wie Menschlichkeit und Solidarität. Doch die gesellschaftliche Realität wird von anderen Werten bestimmt, von Werten, die besonders belohnt werden: der Verabsolutierung von Selbstdurchsetzung, dem Aufstieg um jeden Preis, dem Erfolg auf Kosten anderer. Dieser Wertefundus ist längst durchgesetzt. Und die Jugendlichen haben die Doppelbödigkeit dieser Wertedebatte längst durchschaut."

Heitmeyers Antwort auf die Frage, was zu tun sei, knüpft jedoch leider nicht an der festgestellten Wertepluralisierung und an der notwendigen "Strittigkeit von Grenzen und Normen" an. Sie bleibt im Rahmen der Forderung nach einer Debatte über die "Kultur der Anerkennung".
Gebraucht wird jedoch mindestens ebenso eine Antwort auf die Frage, wie mit der "Wertepluralisierung" und der Erkenntnis umzugehen ist, dass es keine allgemeingültigen Bedeutungen, keine objektiven, "richtigen" Werte und keinen institutionell verabreichbaren "Sinn" mehr geben kann.
Zu schaffen sind also nicht bloß Formen der Anerkennung, sondern vor allem Gelegenheiten der persönlichen Sinnbildung und eine Lernkultur, in der die Fähigkeit zur eigenen Sinnbildung und die Fähigkeit zur Aushandlung von Werten oberste Ziele sind. Erst ein Leben mit Sinn und mit der Fähigkeit Sinn immer wieder neu bilden zu können, sowie eine kompetente Teilhabe an der Aushandlung des "Common Sense" kann die Voraussetzung für (Fremd-)Anerkennung und "Selbstwirksamkeitsempfindung" schaffen, die vor Dekompensation der Psyche und dem (selbst-)zerstörerischen Versuch der Rückgewinnung von Kontrolle durch gewalttätige Machtdemonstration bewahrt.

Mittwoch, 18. März 2009

Anachronistisches Bildungssystem und Lernen 2:0

Kürzlich veröffentlichte das MIT (Massachusetts Institut of Technology) eine Studie von Margaret Weigel, Carrie James und Howard Gardner mit dem Titel:

Learning: Peering Backward and Looking Forward in the Digital Era

Der Aufsatz hält, was er verspricht. Er ist die derzeit beste und aktuellste empiristische Analyse dessen, was das bestehende Bildungssystem weltweit charakteristisch zu bieten hat und welche Transformation ihm demgegenüber gelingen muss, um nicht hoffnungslos obsolet zu werden. Bloße Reformen des Bestehenden werden nicht ausreichen, denn:

"Wenn die Schulen der Aufgabe nicht gewachsen sind, die neuen digitalen Medien in sich aufzunehmen und intensiven Nutzen aus ihren Möglichkeiten zu ziehen und gleichzeitig ihrem Missbrauch vorzubeugen, dann werden Schulen voraussichtlich genauso anachronistisch werden wie Armenhäuser, Lehrer genauso anachronistisch wie mittelalterliche Quacksalber." (Übersetzung LR)

Deutlich wird auch, dass diese grundlegende Transformation nicht etwa eine Aufgabe für ferne Zukunft ist, sondern ein notwendiges Erfordernis der Gegenwart. Denn gelernt wird schon heute anders, als die Schule noch immer lehrt, und anderswo als am Ort Schule.

Donnerstag, 12. März 2009

Lehrerblogs

Der Lehrerfreund hat uns Lehrern - und nicht nur den bloggenden - einen Service geliefert, für den ich mich herzlich bedanke: Berthold und Hermann Metz, die das Service-Blog seit dem Jahr 2000 betreiben, haben 70 deutschsprachige Lehrerblogs gesammelt, nach Alter geordnet und kurz kommentiert. Eine Heidenarbeit, vermute ich. Die Kategorisierung teilt ein in "Verteranen", "Etablierte" und "Säuglinge". Ablesbar ist daran, dass sich auch in den deutschsprachigen Ländern die Blogs zum Thema Schule und Unterricht von einer Handvoll zu Beginn des Jahrtausends zu wahrscheinlich immerhin einigen Hundert vermehrt haben. Diese Zunahme steht allerdings in keinem Verhältnis zu der Zunahme in den angelsächsischen Ländern, in denen "der bloggende Lehrer" offenbar schon länger üblich ist. Wenn man die Edu-Blog-Szene dort besichtigt, dann wird auch deutlich, dass Blogs vor allem zu Medien geworden sind, die den Erfahrungsaustausch für die professionelle Praxis organisieren. Wie das Web 2.0 das Lernen verändert und wie Unterricht sich darum verändern muss, ist neben der Organisierung der einzelnen Schulcommunity und der Schüler- und Elternpartizipation über Blogs das Hauptthema. Die Beispiele dafür sind Legion. Zu wünschen ist, dass die (Selbst-) Erfahrungen der bloggenden Lehrer in unserer Weltregion zunehmend auch dazu führen, Schule und Unterrichten ins Web 2.0 - Zeitalter zu befördern. Denn häufig sind die hiesigen Lehrerblogger noch sehr damit beschäftigt, ihren traditionellen Unterricht in der traditionellen Institution zu beschreiben. (Diese Etappe ist wohl notwendig.) Ich möchte allerdings vorschlagen, dazu überzugehen, die Diskrepanz zwischen der derzeitigen Unterrichtspraxis und dem, was man selbst als Web 2.0-User an neuer Lernkultur erfährt, in den Blick zu nehmen, anstatt wie viele es noch tun, das Bloggen als eine Privatangelegenheit zu betrachten.

Apropos privat: Der Lehrerfreund hat shift so kommentiert: "Ausführliche Beiträge zu schulischen, (medien-)pädagogischen und privaten Themen." Auf der Suche nach diesen privaten Themen in meinem Blog, das zu den "Veteranen" gezählt wird, bin ich allerdings nicht fündig geworden. Was versteht der Lehrerfreund eigentlich unter privat? Mein Interesse für die Geschichte von NS und Holocaust z.B.? Es ist persönlich, wie Interessen immer persönlich sind, aber es ist natürlich ständig bezogen auf gesellschaftliche Diskurse, auf Unterrichtspraxis und Lernprobleme und insofern ich meine Gedanken dazu veröffentliche, wird es eben auch Teil dieses öffentlichen Diskurses. Never mind! Ich habe noch einige mir bisher unbekannte hiesige Lehrerblogs in Lehrerfreunds Service entdeckt - und bedanke mich!

Bewerten ist ein wichtiger Aspekt in der social-media-Welt. Drum hat auch der Lehrerfreund einen Award ausgeschrieben für die "besten drei Lehrerblogs", die man aus 10 vom Lehrerfreund nominierten Blogs heraus"voten" darf. Hm. Zwar habe ich mich schon immer geärgert über den Edublog-Award der angelsächsischen Länder, da er nur englischsprachige Blogs berücksichtigt. (Notieren: Partizipationskompetenz an der Weltgesellschaft erfordert endlich das Umsteigen auf die englische Sprache.) Aber immerhin gibt es dort eine Kategorisierung, die nicht der Formalität des Blogalters folgt, sondern der funktionalen Spezifik. Nach welchen Kriterien wählt der Lehrerfreund die 10 aus 70? Das ist noch nicht bekannt - man darf also gespannt sein.

Dienstag, 3. März 2009

WissensWert Blog Carnival Nr. 2: LLL-E-Learning

Jochen Robes und Andrea Back fragen: "Was war Dein/Ihr letztes E-Learning-Erlebnis?" Und die gute Botschaft ist: Man darf antworten, "ganz gleich, was [man] unter E-Learning versteh[t]". Na dann:

Mein letztes E-Learning-Erlebnis ist eben dies: Die Anregung durch diese Frage, die mich dazu bringt zu reflektieren, was ich in der Regel morgens zwischen 9 und 10:30 betreibe (wenn nicht Sitzung oder drückende Deadline für ein „Produkt“ ansteht) – es ist wohl E-Learning oder wie sollte ich es sonst nennen?

Ich stürze mich über mein Blog in die Welt (=www), gucke erst mal, ob ich neue interessante Unbekannte über „Verweise anzeigen“ finde. Oft ja. Lehrer? Web 2.0-Theoretiker? Lerntheorie? Irgendetwas Neues zur Erinnerungskultur? Interessantes Posting? Weiterführende Links? Neue Unbekannte auf der fremden Blogroll? Ich stoße auf ein interessantes Praxisbeispiel, einen wichtigen konzeptionellen Gedanken oder einen brauchbaren wissenschaftlichen Aufsatz (wird sofort zumindest angelesen oder kommt ausgedruckt auf den Wartehaufen fürs Wochenende). Wenn mich bis 9:30 nichts weiter angesprungen hat, breche ich ab und überfliege die politischen Tagesnachrichten in der Online-Ausgabe einer Zeitung. Danach z.B. die Artikel von Georg Lind aus seiner Bildungsinfo-Mailinglist oder bei George Siemens oder im Weiterbildungsblog-Newsletter, manchmal neuerdings auch bei maschendraht.mixxt.de (je nachdem, was davon gerade im Postfach angekommen ist.) Gute Sachen kommen sofort in Mister-Wong. (Die Tags muss ich doch dringend mal aufräumen!) Über Ärgerliches, Irritierendes, Widersprüchliches, Verstörendes oder erfreulich Aufregendes und aufregend Erfreuliches muss ich vielleicht länger nachdenken und vielleicht sogar selbst etwas posten. Oder irgendwo meinen Senf dazu kommentieren. Manches kommt auf den Zettel, um es f2f mit meinem Kollegen von der Projektdidaktik beim Espresso am späten Nachmittag zu diskutieren (falls keine Veranstaltungen).

Das mache ich seit über 4 Jahren so und bin deshalb heute jemand ganz anderes als vor fast 5 Jahren. Das ist gut so. Prozess läuft weiter. Wär schön, wenn es lebenslänglich so möglich wäre. Ach ja … das Wichtigste daran: Es ist selbstgesteuert (im systemth. Sinne) - also selbstbestimmt. Die Gegenstände und Themen sind selbstgewählt, und es sind seit Jahren immer dieselben. Ich folge meiner eigenen Nase und meinen selbstbestimmten Filtern. Design (die Konfiguration der Komponenten) wird laufend angepasst.
Fazit: Es macht Sinn und befriedigt mich sehr, mein E-Learning.

Montag, 2. März 2009

Always Beta!

Always Beta – Prinzip Baustelle heißt ein Beitrag von Ralf Appelt im mmsblog der Fakultät für Erziehungswissenschaft, Psychologie und Bewegungswissenschaft der Universität Hamburg. Die Einsicht, dass Beta-Versionen von Programmen oder "Anwendungen", an denen die User als Mit- und Weiterentwickler einer Sache beteiligt werden, um diese an sich ständig verändernde Bedingungen und Bedürfnisse permanent anpassen zu können, wendet Appelt hier für die Bildungsinstitutionen an. Dazu gibt es in seinem Beitrag ein anschauliches Video.

Das Prinzip "Always Beta" als Erkenntnis, dass es in Wirklichkeit überhaupt keine dauernde Alpha-Lösung [vgl. hierzu den Kommentar von Martin Lindner] geben kann, scheint mir eine der wichtigsten Erkenntnisse der Netzgesellschaft zu sein. Auf die Gestaltung von Unterricht und "Lehre" (ganz gleich, ob in Schule oder Seminar) übertragen, eröffnet dieses Prinzip die Möglichkeit zu erkennen, dass man die alte Form der Unterrichts- oder Seminarplanung als vermeintlicher "Alpha"-Versionen von Lehrgängen und Unterrichtseinheiten am grünen Tisch – etwa "für eine 7. Klasse Gymnasium" oder "für eine Lehrerfortbildung" endlich aufgeben muss.
Das alte Prinzip, fertige Lehrgänge an einer Klasse bzw. einer Seminargruppe - mit einigen Anpassungszugeständnissen an die konkrete Gruppe – zu exekutieren, hat sich als untauglich erwiesen. Mit der Always-Beta-Erkenntnis können wir stattdessen die Lernenden an der Gestaltung ihrer Lernprozesse beteiligen. Die pädagogische Professionalität besteht dann nicht mehr darin, "Stoff" zu "vermitteln", sondern in der Bereitstellung von Strukturen und Instrumenten zur selbstbestimmten Auseinandersetzungen mit Gegenständen, also in der Organisation von Lernprozessen.

Einen weiteren Versuch, eine solche "Baustelle" für Lernprozesse einzurichten, habe ich letztes Wochenende in meinem Referendarsmodul "Individualisiertes Unterrichten mit Weblogs" unternommen. Mir scheint er ganz gelungen, dieser Versuch – als erste Beta-Version. Das nächste Seminar bzw. der nächste Workshop für Lehrer oder Referendare zur Erkundung, was der Einzelne mit dem Medium Blog für sich selbst gewinnen und was er damit in seiner Arbeit mit den Schülern, die er gerade zu unterrichten hat, anfangen kann, ist schon in Arbeit: Die Referendare gaben viele wichtige Hinweise für die zweite Beta-Version meiner Baustellen-Organisation. Im Seminar entstand der Gruppenblog Lernen 2.0, auf dem Material, Verlauf, Ergebnisse und Auswertung des 14-Stunden-Moduls vom letzten Wochenende besichtigt werden können. Einige Ergebnisse sind erst als Setzlinge zu sehen: Die ersten Blogs der Teilnehmer - Praxisreflexions-Blogs und Unterrichtsblogs -, mögen sie im Laufe der Zeit wachsen und gedeihen! Andere Ergebnisse sind als individuelle Ergebnisse nicht abgebildet: Es sind die einzelnen Planungsskizzen, aus denen die Teilnehmer Unterrichtsvorhaben konkretisieren und erproben wollen - ich würde mich sehr freuen, wenn demnächst einige der Erfahrungen ins Gruppenblog zurückfließen!

Donnerstag, 19. Februar 2009

Gedanken zum "individualisierten Unterrichten"

Traxler

Hans Traxler, Chancengleichheit, in: Michael Klant , [Hrsg.] , Schul-Spott : Karikaturen aus 2500 Jahren Pädagogik ,Fackelträger, Hannover 1983, S. 25

Diesen schönen Cartoon kennen wir alle.
Aber was sagt er uns darüber hinaus, dass Schule ungerecht ist, wenn sie den unterschiedlichsten Individuen das Gleiche abfordert und darauf Noten verteilt?

Als der Cartoon 1983 herauskam, hatte ich gerade mein Referendariat begonnen. Wir waren alle begeistert damals: Ja, so ein wunderbar kritischer Kommentar zum Schulwesen! Ist doch klar: Die Prüfungsaufgabe ist ungerecht und ungerecht darum die Bewertung. Aber sind Menschen denn wirklich so verschieden? Eigentlich glaubten wir doch, dass im Prinzip alle Menschen alles lernen können, auch wenn sie verschieden sind, und dass es keine angeborenen Unmöglichkeiten gibt. War das denn so falsch?

Und dann: Wie konnte angesichts eines für alle gegebenen Baumes eine gerechte Aufgabenstellung denn lauten?

Vielleicht eine Aufgabe, die für alle gleichermaßen zu meistern wäre? Den kleinsten gemeinsamen Nenner? "Geht so nah ihr könnt, an den Baum heran?" – Dann gäbe es aber für alle nicht viel zu lernen.

Oder etwa jedem eine andere Aufgabe? – Aber wie sollte das gehen, wir mussten doch allen das Gleiche beibringen. Sollten wir vielleicht jedem trotz gleichen Unterrichts im Bäume-Erklimmen die Prüfungsaufgabe auf seinem eigenen Level stellen, damit jeder eine 1 machen konnte? Also zum Ausgleich der ungleichen Start-Chancen an der Bewertung „drehen“? – Manche von uns glaubten damals tatsächlich an eine solche Lösung des Problems.

Jahre später versuchten wir das Problem mit einer anderen Variante zu lösen:
Alle sollten auf den Baum hinauf kommen, aber jeder sollte dafür die Hilfsmaßnahmen und die Unterstützung erhalten, die er dafür benötigte. – Das hieß dann: spezielle Förderung für die Gehandicapten. (Diese gab es dann jedoch in der Praxis niemals ausreichend.)
Und hieße das dann nicht auch – um im Bild zu bleiben –, den Fisch mitsamt seinem Wasserglas auf den Baum hinaufzusetzen? Und vielleicht noch eine Aufgabe zur Teamentwicklung dazu: Der Affe hievt den Fisch hinauf anstelle des Lehrers (und alle zusammen den Elefanten), dann können auch noch social skills-Punkte erworben werden?

Oder läge die Lösung vielleicht darin, dass nicht allen die gleiche Aufgabe zu stellen wäre, sondern jedem eine andere – gemäß seinen in die Schule mitgebrachten Fähigkeiten – die wir noch immer mit den Möglichkeiten verwechselten? – Dem Affen also die Baumkrone, dem Elefanten das Baumausreißen, dem Fisch vielleicht eine Beobachtungsaufgabe - das Kletterprotokoll der anderen. Hm.

Aber klar war und ist bei all diesen Varianten für uns Lehrer dabei immer noch: WIR stellen die Aufgaben. WIR wissen, was es zu lernen gibt, und wir formulieren Standards für das Niveau des Lernerfolgs. Der Fisch wird jetzt genötigt, eine Lernzielvereinbarung für den Erwerb einer Protokollier-Kompetenz zu unterschreiben, und die Schlange - doch, doch, es gibt sie, Traxler hat sie nur vergessen zu zeichnen! - darf jetzt selbst entscheiden, auf welchem Lernwege und in welcher Geschwindigkeit sie sich um welche Äste des Baumes winden möchte, um die Krone zu erreichen.

Vielleicht kommen wir aber doch mal dahin, die uns anvertrauten Geschöpfe nach ihren eigenen Lernwünschen und ihrem eigenen Sinn zu fragen? – Vielleicht so: Welchen Sinn könnte für dich der Baum machen, was könntest du daran lernen wollen, welche Aufgabe möchtest du dir selbst stellen?
Und vielleicht ist ja genau das die Aufgabe für ALLE, nämlich seinen eigenen Sinn finden zu lernen?
Hier beende ich meine Gedanken zum Cartoon, bevor ich mich noch hoffnungslos im Geäst versteige und den Rückweg aus dem Baum meiner Zukunftswünsche für ein selbstbestimmtes lustvolles Lernen in die Schulrealität heute nicht mehr finde.
Bild: Ivan Montero / fotolia

shift.

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