Neue Medien

Samstag, 14. April 2007

Neue Medien und Schule

"Beam me up, Scotty" hieß das Motto der Medienpädagogischen Tagung des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg, von der ich gerade komme. "Digitale Lebenswelten & Impulse für die Schulwirklichkeit war das Thema. Aufeinander trafen Lehrer, Medienpädagogen, Erziehungswissenschaftler, Suchtpräventionspädagogen. Insgesamt drängelten sich in der Aula und in knackevollen Workshops 250 Teilnehmer, die ein ganz anderes Generationenbild abgaben, als das sonst übliche Tagungspublikum der 50-60Jährigen. Hier waren auch die Digital Natives in so ausreichender Anzahl vertreten, daß Medienskeptiker und Gefahrenwarnungsspezialisten - selbst wenn sie als Referenten auftraten - kaum eine Chance hatten. Auch eine Medienauffassung, die Computer und Internet aus der Perspektive der Gutenberggalaxis als bloße neue Zutat zu den alten Medien versteht, wurde darum in manchem Workshop durch die vielen Beiträge der Teilnehmer korrigiert.

Den Hauptvortrag hielt Franz Josef Röll, Prof. an der Fachhochschule Darmstadt, der in einer unglaublichen Geschwindigkeit nicht nur einen großartigen Überblick über die digitalen Lebenswelten der Schüler gab, sondern auch sehr überzeugend theoretisch darlegte, daß sich mit dem Internet das Denken und Lernen verändert hat. Im Multitasking der multimedialen digitalen Welt derer, die mit dem Internet aufwachsen, werden Texte nicht mehr linear gelesen, sondern unter 5 wesentlichen Aspekten wahrgenommen, verstanden und verarbeitet: 1. Scannen, 2. Connecting, 3. Matching, 4. Sharing, 5. Serendipiting. Das heißt, daß Texte jetzt als Teil eines multimedialen Ganzen und in Verbindung mit verschiedenen Kontexten und Personen aufgenommen, nach Mustern abgeglichen und nach dem Prinzip der glücklichen Zufallsentdeckung gefunden werden. Die Schule müsse dieses neue Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprinzip als ein neues Betriebssystem der Wissensaneingung begreifen und nicht als schlechter als die lineare Weise verstehen, sondern eben als andere als die bisherige. Wie die Bildungsinstitutionen mit dieser Erkenntnis produktiv umgehen können, zeigte Röll an verschiedenen Beispielen, die man z.B. in lerno.de besichtigen kann. Aus seiner Lehrtätigkeit machte er auf die Möglichkeit aufmerksam, daß Lernende im Wiki "selbst den Inhalt produzieren, über den sie später geprüft werden".

Im Workshop "Web 2.0 - Ein Medienhype oder Herausforderung für die Pädagogik" erläuterte Torsten Meyer , Prof. an der Universität Hamburg, seinen Begriff vom Leitmedium Internet, der ebenso wie Rölls Auffassung von der die gesamte Gesellschaft betreffenden und transformierenden Digitalisierung ausgeht, die auch das bisherige Bildungssystem radikal verändern muß. Deutschland sei in dieser Hinsicht allerdings noch Entwicklungsland. An einem sehr witzigen Video wurde sofort deutlich, warum es sich beim Internetzeitalter um eine neue Formation der Mediengeschichte handelt. Ralf Appelt als Co-Workshopleiter führte an vielen Beispielen in die Möglichkeiten der Blogs, Wikis und Social Bookmarks ein, gab auf alle Fragen Tipps, Links und allgemein orientierende Antworten, sodaß dieser Workshop eine dichte interaktive Lerneinheit wurde, in der auch Lehrer, die bisher noch nicht mit Web 2.0 vertraut waren, sich ermutigt fühlten, Social Software zunächst selbst und dann mit ihren Schülern auszuprobieren.

Eine anregende und bereichernde Tagung für die Hamburger Lehrer, auf der die Aula auch noch zum Abschluß der Tagung am Samstag Nachmittag bei herrlichstem Frühlingswetter bis auf den letzten Platz gefüllt war - wenn das kein Qualitätsnachweis ist ...

Ein Update kann ich mir nicht verkneifen - es paßt einfach zu gut zu Rölls Vortrag: Das Video Web.2 ... The Machine is Us/ing Us von Michael Wesch, das ich bei Crisp's Virtual Comments fand.

Mittwoch, 11. April 2007

Lehrerbildung und Web 2.0

Einen sehr gescheiten Vortrag von Gabi Reinmann, Medienpädagogin an der Uni Augsburg über die Bedeutung von social Software - konkret des Bloggens - für die Lehreraus- und Fortbildung fand ich heute bei Kreidefressen. Danke! Der Fund bestätigt Reinmanns These von den Potenzen des Web 2 für die neue Rolle des "Lehrers als Wissensarbeiters". Ich würde, was da passiert, auch web 2-organisierten Erfahrungsaustausch nennen. Ich werde jedenfalls damit auf unserer Medienpaedagogischen-Tagung (pdf, 97 KB) hausieren gehen. Dort kommen die Blogs nämlich nur unter der Rubrik "Lernen ÜBER Medien" vor. Zum "Lernen MIT Medien" kriegen wir hier nur die Podcasts im Unterricht, die digitalisierte Schultasche und digitale Trainingsprogramme vorgeführt.

Montag, 12. März 2007

Virtual und Real Life

Mit einem realen Blumenstrauß - siehe Foto - wurde ich heute herrlich überrascht, als ich von der Arbeit kam. Er duftet echte Düfte in meine Nase und ich kann ihn hin- und herbewegen im realen Raum, und auch, wenn ich meinen Laptop runterfahre, steht er noch da.

Wer schickt mir denn Blumen? Sowas passiert mir nie. Und Geburtstag habe ich auch nicht. Die beiliegende Karte verrät: Es war Kreide fressen aka Hokey aka Heiko, der sich damit noch einmal bedankte für ein paar Lehrmittel, die ich ihm kürzlich überließ. Die Exposition derselben war ja schon ein schöner Dank gewesen und hatte mich und den privaten Postdienst schon sehr begeistert. Vielen vielen Dank, realer Heiko, bzw. virtueller Kreidefressenhokey für diese absolut gelungene Überraschung:

Heikos-Blumen-1-

Der echte Strauß ist Ergebnis virtuellen Lebens. Sag also keiner, virtuelles Leben wäre kein echtes Leben!

Dienstag, 21. November 2006

Sinnleere

Jetzt wird wieder einmal mit der Verbotsdiskussion von "Killerspielen", v.a. Counterstrike, Politik gemacht. Die Spiele sind es, die die Jugendlichen zu Amokläufern machen, wird gesagt. Isoliert inmitten des Berichts über die Internetaktivitäten des Schülers findet man im Artikel der Netzeitung über den Amokläufer von Emsdetten die Aussage des Oberstaatsanwalts über das Motiv des Schülers: Er habe unter seiner "Sinnleere" gelitten. Kein Kommentar dazu im Artikel, von einem Kommentar seitens der Politik ganz zu schweigen.
Dabei liegt hier - im Motiv und nicht im Medium - der Anknüpfungspunkt zum Handeln - auch für die Politik.

Erst jetzt entdeckt: Bei mein-parteibuch.de gibt es den vollständigen Abschiedsbrief des Selbstmordattentäters.

Ergänzung 28. 11. 06
Beim Spielverderber findet sich nicht nur eine verständige Interpretation, sondern auch ein interessanter Dialog in den Kommentaren:
>Wie einfach es ist!
Natürlich, die Gesellschaft, die Medien ... alle, alle anderen haben Schuld.
Nur die Wirrköpfe, die sind die Guten, sie haben unser Verständnis, weil sie nicht klar kommen mit unser komplexen, komplizierten Wirklichkeit. Wir würden ihnen so gerne eine perfekte Welt geben und tun alles, um einfache Antworten, mit glasklaren Schuldzuweisungen hinzubekommen, damit erträglich scheint, was wir nicht ertragen können: Uns selbst!<
, meint eine Kommentatorin
Darauf Spielverderber:
>Sprechen Sie, Checkbox, von sich? - Ich jedenfalls kann mich seit einem halben Jahrhundert sehr gut ertragen. Hingegen verabscheue ich vieles von dem, was auch Bastian B. verabscheut hat; z.B. KuschelpädagogInnen & KuschelpsychologInnen, die nicht wahrhaben wollen, was in unserer Welt vor sich geht, und die Botschaften der Jugendlichen seit 30 Jahren ignorieren. Die nämlich brauchen keine windelweichen Erwachsenen, von denen sie mit albernem Pop & Katzengeschichten abgespeist werden, sondern integre Persönlichkeiten, an denen sie ihre Kräfte (auch die geistigen) messen können.
Vergleichen Sie mal all das, was Bastian B. im Netz hinterlassen hat, mit dem Fänger im Roggen, neueren Songs wie Youth Of The Nation von P.O.D. oder auch alten deutschen Schulgeschichten wie dem Hanno-Kapitel der Buddenbrooks, Unterm Rad von Hesse, dem Schüler Gerber von Friedrich Torberg, Jugend ohne Gott von Horvath. Wenn Sie das getan haben, können wir uns gern wieder sprechen.<

Montag, 20. November 2006

Medien, Monster und die Beherrschung der Zukunft

Beim Fuckup-Weblog fand ich heute den höchst interessanten Hinweis auf Susanne Keunekes Vorlesungssfolien "Angstmedien - Medienängste". Wie Michael Giesecke periodisiert auch sie überzeugend die Geschichte der Menschheit als Mediengeschichte. Der Fokus ihrer Untersuchung liegt dabei auf dem Auffinden der Ursachen für die zu Beginn jeder Epoche - eingeleitet durch eine neue Medientechnologie - stattfindende Verteufelung des neuen Mediums. Von der Erfindung der Schrift in der Antike, über den Buchdruck, bis hin zur Erfindung von Kino und Comic findet sie dabei immer wieder dasselbe Muster von Ablehnung und Kampf gegen das neue Medium bis zu seiner gesellschaftlichen Implementierung und Institutionalisierung, mit der das neue Medium adaptiert und akzeptiert ist.
Überzeugend zeigt sie an allen jeweils neuen Medien die Übereinstimmung in den offiziellen Begründungen der Abwehr:
  • Behauptung einer körperlichen Mißbildung durch das neue Medium
  • Behauptung der Entstehung von Aggressivität und Gewalt durch das neue Medium
  • Behauptung der Asozialisation, also der mißlingenden sozialen Anpassung der Nutzer des neuen Mediums
  • Behauptung, das neue Medium mache süchtig und führe zum Verlust der Kontrolle über das eigene Leben
  • Behauptung, das neue Medium würde vom "echten" Leben abhalten
Dazu präsentiert sie historische Zitate, in denen auch deutlich wird, daß das jeweils etablierte, ehemals neue Medium seine nachträglichen kulturellen Weihen und eine Verklärung erhält, indem es vom neuesten "gefährlichen" Medium als gutes Medium abgegrenzt wird, dessen Werte durch das neueste Medium verloren gingen. War das Buch noch bis ins 19. Jh. hinein, ja sogar bis zu Beginn des 20. Jh. zumindest auf dem Land etwas, was vom "eigentlichen" Leben abhielt, die Augen verdarb und Weib und Kind für die Übernahme der vorgesehenen sozialen Rolle "verdarb", so finden wir heute im digitalen Zeitalter nicht nur alle diese Ressentiments gegen Computer und Internet wieder, sondern eben auch die "Verklärung" des (Buch-)lesens.

Im online-Seminar der Friedrich-Naumann-Stiftung zum Thema Hirnforschung, was sagt sie uns für das Lernen? tobt zur Zeit der Bär über die Frage, wann wir unsere Kinder überhaupt vor den Computer setzen dürfen, damit sie nicht biologischen, seelischen und sozialen Schaden nehmen. Hirnforscher, Pädagogen, Mütter und Väter sorgen sich um das Wohl ihrer Kinder angesichts des Monsters Computer. Wissenschaftliche Hauptreferenz ist der Neurobiologe Manfred Spitzer, der erst kürzlich in Psychologie Heute mahnte: "Kauft den Kindern keinen Computer!"

Susanne Keuneke findet als gesellschaftliche Ursache für den Kampf gegen das jeweils neue Medium die Angst der jeweiligen Obrigkeit vor Macht- und Privilegienverlust. Da ist sicher etwas dran.
Welche Privilegien aber hat das Lehrer- oder Neurologen-Individuum durch die Computer literacy der Kinder und Jugendlichen zu verlieren und muß darum "das Buch" - vergessen ist der Kampf gegen die "Schundliteratur" - als Medium gegen den Computer verteidigen?
Was ich hinter der Diskussion mit Pädagogen-Kollegen, nicht zuletzt mit "Medienpädagogen" um die 50 und älter erfahre, ist, daß sie, die in der Gutenberg-Galaxis (McLuhan) sozialisiert wurden, ihre eigenen Ängste vor dem Neuen Medium auf die nächste Generation projizieren, wie ehedem wohl der Lehrer in der Neuzeit seine eigene Angst vor dem erweiterten Horizont, der sich ihm mit dem Buch eröffnete und unbeherrschbar erschien, auf die damaligen Schüler projizierte und darum deren Lektüre unter seine Kontrolle zu bringen trachtete.

Es hilft nichts: Wir "Alten" müssen erkennen, daß wir bestenfalls nur "Digital Immigrants" sind und die Eroberung des neuen Leitmediums durch die "Digital Natives" (Marc Prensky), die Generation der unter 20-Jährigen, nicht verhindern, ja noch nicht einmal kontrollieren können. Wir dürfen es auch nicht, wollen wir die Kinder nicht an der Ausbildung ihrer Zukunftsfähigkeit behindern. Denn deren Ausbildung der Fähigkeit zur Beherrschung des neuen Mediums ist umgekehrt proportional unserer neurotischen Kontrollversuche.
Aber ebenso, wie man seinem Kind nicht ein Bilderbuch vor die Füße wirft - erstes Medium zur Erlernung von Zeichen, die nicht die Realität sind, die sie bezeichnen, sondern auf diese verweisen - sondern es mit ihm zusammen anschaut und "bespricht": Was außer der eigenen Angst vor dem Neuen Medium hindert uns daran, zusammen mit unseren Kindern Computer und Internet zu erkunden und beherrschen zu lernen?

Freitag, 29. September 2006

Weblogs - der SAMPO der Wissensgesellschaft

Alle haben sie schon verlinkt - die Master Thesis von Wolfgang Schweiger:"Weblogs in der Wissensgesellschaft". Ich möchte es trotzdem auch noch tun, denn es ist die beste Arbeit über die Bedeutung von Weblogs, die ich bisher gefunden habe. Auch über die Merkmale der Wissensgesellschaft, die Definition von Wissen und über geeignete und ungeeignete Lerntheorien erfährt man in der gut strukturierten Arbeit eine Menge.
Zusammengefaßt liegt nach Schweiger die Bedeutung des Weblogs in seiner Fähigkeit, dem Digital Divide entgegenzuwirken und eine Plattform für den Austausch potenziell aller Menschen anzubieten und damit zur Wissensproduktion beitzutragen:

"Suchmaschinen liefern nur Informationen, die zwar nützlich und erforderlich sind, manchmal aber nicht ausreichend. Weblogs hingegen liefern neben den bloßen Informationen auch Erfahrungsberichte, persönliche Wertungen und Beispiele der praktischen Anwendung, kurz gesagt Wissen. Damit kompensieren sie nach Meinung von Tschertau 'auf eine selbstorganisierte Weise den größten Nachteil des Internets: seine Unübersichtlichkeit. Sie schaffen Metadaten für Dokumente und sie schaffen Interpretationen und semantische Zusammenhänge.' (Tscherteu)"

Hinzuzufügen wäre die Fähigkeit des Blogs, bei zwei grundlegenden Entwicklungsaufgaben des Menschen in der Wissensgesellschaft als vermittelnder Gegenstand zu dienen: Bei der Individualisierung und der Kommunikations-Netzwerkbildung.

Warum aber SAMPO? Wer ist das überhaupt? Gestoßen bin ich auf den Sampo in Yrjö Engeströms Einleitung zu seinem Aufsatzband "Developmental Work Research. Expanding Activity Theory in Practice". Der Sampo ist ein magischer Gegenstand im Kalevala, dem finnischen Nationalepos, der in den Worten Engeströms

"die Quelle aller Gesundheit und allen Wohlbefindens ist. Der Sampo wurde von einem mächtigen urzeitlichen Schmied geformt. Bis jetzt sind seine Gestalt und seine genauen Eigenschaften nie beschrieben worden. Der Sampo wurde Anlaß eines Streits, er wurde zerschlagen und über Bord geworfen. Aber die Splitter des Sampo, die an die Küste gespült wurden, brachten dem Volk Reichtum (...) Der Gegenstand ist mehr als ein starres materielles Ding: Er muß geschmiedet werden, er geht durch viele Hände, er erzeugt Leidenschaften und Kämpfe, er wird fragmentiert und wieder eingesammelt. Er ist einzig, jedoch überall. Er ist ein Horizont von Möglichkeiten. Mit anderen Worten: Der Sampo ist der Kern des Gegenstands jeder produktiven Tätigkeit. "
(im Original engl., Übersetzung LR)

Mir scheint, das Weblog hilft beim Einsammeln der Fragmente. Gleichzeitig scheint es selbst so etwas wie ein Teil des Sampo zu sein.

Ein Video mit einem Interview Engeströms über seine Theorie des Expansiven Lernens fand ich bei Knowledging across life's curriculum.

Obwohl Weblogs - wie Schweiger zeigt - so überaus potent für die Lerntätigkeit sind, sind sie in der Schule noch nicht angekommen. (Von Ausnahmen wie bei bloggenden Lehrern wie im virtuellen Lehrerzimmer von Herrn Rau oder im Herrmann-Vöchting-Gymnasium Blomberg, der Schule, die als Homepage ein Blog hat, mal abgesehen.)
Für mein Angebot, Hamburger Lehrer beim Einsatz von Blogs zu beraten, habe ich ein Exposé mit Beispielen für die Anwendung-in-der-Schule1 (pdf, 80 KB) geschrieben.

Montag, 6. März 2006

Teufelszeug

seien die Neuen Medien. Und: "Wenn jemand ... seinem elf-oder zwölfjährigen Kind etwas Gutes tun will, dann kaufe er ihm bitte keinen Computer". Und: "Wenn jeder wüsste, dass der Konsum von Bildschirmmedien langfristig dick und dumm und gewalttätig macht ... wären wir vorsichtiger im Umgang damit." Wer hier warnt - eigentlich schon droht -, das ist Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer, Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm und Leiter des von ihm gegründeten "Transferzentrums für Neurowissenschaft und Lernen". Die Zitate stammen aus einem Interview in Psychologie Heute.

Oje. Da ist in der Erziehung meiner Kinder wohl schon alles zu spät, denn sie verbringen schon viele Jahre fast jeden Tag oft Stunden mit den Neuen Medien. Merkwürdigerweise sind sie weder dick, noch dumm, noch gewalttätig. Sie haben sich offenbar nicht an die Untersuchungsergebnisse Spitzers gehalten, der meint, man könne Medien konsumieren. Ich weiß ja nicht, was dieser freundliche Herr mit seinen Medien macht ...
Wären meine Kinder noch klein und hätten sich nicht mit den - oder trotz oder wegen der? - Medien so gut entwickelt, würde ich mich von den drohenden Zukunftsvisionenen Spitzers vielleicht beeindrucken lassen, aber auch dann wäre mir vermutlich aufgefallen, daß an der Argumentation Spitzers irgendetwas nicht stimmen kann:
"Neueste Studien zeigen z.B.", so antwortet er im Interview, "dass der Fernsehkonsum im Kindesalter vorhersagt, ob jemand einen Universitätsabschluss bekommt oder in welchem Ausmaß er als Jugendlicher in der Schule versagt. Längsschnittuntersuchungen zeigen eine klare Kausalität: Ein größerer Konsum von Bildschirmmedien führt zu einem schlechteren Bildungsabschluss." Hm. Ich war in meiner Kindheit ein Bücherwurm, habe tage- und nächtelang gelesen und tue es auch heute noch - na klar! Zwar spricht man auch vom "Bücherverschlingen", aber man meint doch nicht wirklich, dass man die Bücher dabei verkonsumiert wie ein Schweineschnitzel. Und niemand ist je auf die Idee gekommen zu behaupten, dass ich trotz meines Büchermedienkonsums ein brauchbares Hochschulexamen gemacht habe.
Beim Lesen - damals noch in der Printversion - bin ich immerhin auch auf das Problem falscher Kausalbeziehungen gestoßen. Immer wieder - habe ich gelesen - würde derselbe Fehler gemacht: Wenn bei einer Populationsmenge x zwei Attribute a und b mit beidemale signifikant höheren Werten auftauchen als bei einer anderen Menge y - was sagt das über den Zusammenhang der beiden Attribute a und b aus? Antwort: Nichts, außer ihrem gleichzeitigen Auftreten. Schon gar nicht, dass die Zahlen von a die Ursache für die Zahlen von b sind. Das aber möchte uns Prof. Dr.Dr. Manfred Spitzer weismachen, wenn er für den miserablen Bildungserfolg derer, die im unteren Viertel der PISA-Ergebnisse gelandet sind, ihren extensiven "Bildschirmmedienkonsum" verantwortlich macht.
Medien jedenfalls - ob neu oder alt - verursachen von sich aus weder Dummheit noch Übergewicht noch sonst etwas Erwünschtes oder Unerwünschtes. Davon aber scheint Spitzer überzeugt. Denn im Unterschied zu anderen "Neue-Medien-Warnern" möchte Spitzer noch nicht einmal den Computer in der Schule zulassen, wo doch ein "ungefährlicher" nicht dick machender Umgang mit ihm gelernt werden könnte. Denn - so meint der Hirnforscher -, "Computer können das sinnvolle Lernen von Zusammenhängen nicht fördern." Von alleine natürlich nicht.

Freitag, 3. Februar 2006

Aktualisierung: Medienrealität in der Schule

Das Schulblog des Gymnasiums Blomberg hat sich mächtig entwickelt seit meinem Besuch im November letzten Jahres! Inzwischen hat man dort auch auf meinen Begrüßungs-Eintrag reagiert. Interessant und mit corredors Beitrag hier in shift. thematisch verwandt ist ein Admin-Beitrag in Blomberg über den Wunsch nach mehr Kommunikation und Meinungsaustausch, den Schüler geäußert haben. Gefragt wird hier: "Mehr Interaktion auf der Schulwebsite - aber welche?"
Ein technisches Problem ist es ganz sicher nicht.
Aber offenbar hat es auch nichts damit zu tun, daß etwa die avanciertesten Tools nicht zur Verfügung stehen würden. Womit also? Ich bin gespannt darauf, wie es weiter geht ...

Dienstag, 29. November 2005

Medienrealität in der Schule

Heute wieder mehr das Cyberspace nach Brauchbarem abgeleuchtet, denn irgendetwas Produktives gemacht. Gefunden habe ich eine Schule, die sich ein Blog angelegt hat. Aber was finde ich da? Der Administrator kontrolliert alle Beiträge, Diskussion ist in Foren verwiesen, deren Themen identisch mit den Unterrichts- und Projektthemen sind, und die Schülerkommunikation will nicht recht in Gang kommen. Kein Wunder! So ist es mehr eine leichter zu handelnde Website, denn ein Meinungsaustausch. Tja - wenn man alles erst als Beitrag "anmelden" muß, und der Beitrag dann auch noch zensiert werden kann, wozu sollen die Schüler dann überhaupt schreiben? Die meisten Beiträge stammen von dem, der wohl das Schulblog "pflegt" - klar ein Lehrer. Die "Ecke" für die Schülervertreter bringt nur deren Namen. Noch nicht mal, was sie vorhaben oder machen, geschweige denn eine Diskussion darum.

In den OECD-key-competencies (S. 12) steht dazu, was ein etwas ausführlicheres Zitat lohnt:
"Die interaktive Anwendung von Medien ... erfordert mehr als den Zugang und die technischen Kenntnisse für den Einsatz des "Werkzeugs". ... Die Menschen sollten ebenfalls Kenntnisse und Fertigkeiten neu entwickeln und anpassen. Dies setzt sowohl eine Vertrautheit mit dem Werkzeug voraus als auch ein Verständnis dafür, wie es die Art und Weise der Interaktion mit der Umwelt verändern, und wie es zum Erreichen von Zielen eingesetzt werden kann. In diesem Sinne dient ein Werkzeug nicht allein der passiven Übermittlung, sondern vielmehr einem aktiven Dialog zwischen dem Individuum und der Umgebung.
Menschen treten mit der Welt durch kognitive, soziokulturelle und physische Medien und Mittel in Verbindung. Die Art dieser Interaktion wiederum bestimmt, wie sie die Welt deuten und Kompetenzen darin erwerben, mit Transformation und Wandel umgehen und auf langfristige Herausforderungen reagieren. Die interaktive Anwendung von Medien und Mitteln eröffnet neue Möglichkeiten, die Welt wahrzunehmen und mit ihr in Beziehung zu treten."

Daß diese Formulierung als kleinster gemeinsamer Nenner der OECD-Bildungsminister gegenüber der Praxis noch derart fortgeschritten sein kann - selbst gegenüber einer Schule, die medial offenbar ganz weit
vorne liegt, will man spontan nicht für möglich halten.

Natürlich gibt es in diesem Blog auch keine Anzeige, ob und wo ein frischer Kommentar eingetroffen ist. Es gibt nur eine Anzeige für den Administrator: "ungelesener Beitrag" - aber nicht fürs Publikum.

Samstag, 13. August 2005

taz dem Blog

Dieter Grönling möchte uns heute in der taz Kulturkritisches über das Bloggen erzählen. "Ich blogge, also bin ich" heißt seine feine Studie. Tatsächlich spricht aus ihm nur die Arroganz, die sich erhebt über das Mitteilungs- und Kommunikationsbedürfnis der "lieben Prinzessin", die nichts zu sagen hat und doch besser ganz still sein möge. Ja Moment mal, ruft man da als Bloggerin aus: Wer zwingt dich denn, das zu lesen? Ich lese ja schließlich auch freiwillig deinen Senf in der Taz hier! Völlig erschlagen ist der arme Mann durch die ungeheure Flut von Blogs, die es schon gibt, eine "unglaubliche Zahl, die schon der Einwohnerzahl eines mittelgroßen Landes entspricht." Verzweifelt stellt sich ihm "die Frage, wer das alles lesen soll." Das ist immer das allerletzte und merkwürdige Argument der Medien(flut)kritiker. Als würde etwas Furchtbares passieren, wenn Geschriebenes nicht gelesen würde, und man müßte am Ende Leute wie ihn dafür bezahlen, damit sie es tun, und es endlich gelesen sei. Es sind die, die sich wünschen, das Internet aufzuräumen, sauber zu machen von dem, was sie für Müll halten. Vielleicht ist es ja auch bloß der verzweifelte Kampf der Printmedien-Journalisten gegen die Wirklichkeit der Neuen Medien. Verständlich. Trotzdem peinlich, daß ausgerechnet im letzten Satz so fett der falsche Artikel prangt: "Zeit also, mal einen wirklich guten Blog zu bauen."
Bild: Ivan Montero / fotolia

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