Wasch mir den Pelz ...
In Hamburg macht Schule, das teilweise als Organ der Hamburger Schulbehörde fungiert, formuliert Dieter Lenzen "Perspektiven zur Reform des Schulsystems". "Grundlegende Änderungen" verspricht er im Titel seines Aufsatzes (S. 6ff). Aha, jetzt geht es endlich zur Sache!, freue ich mich, und wie gut, daß sich Lenzen der überfälligen Transformation dieses hinterwäldlerischen deutschen Systems annimmt. Lenzen ist einer der wenigen deutschen Erziehungswissenschaftler, die international überhaupt zur Kenntnis genommen werden - immerhin hat er eine Seite in der deutschen Wikipedia und in der englischen taucht er als Referenz beim Stichwort Education im Abschnitt History auf – und Lenzen hat Luhmanns Erziehungssystem der Gesellschaft herausgegeben und seine Schriften zur Pädagogik editiert, und so hege ich frohe Erwartung, daß endlich ein Ende damit gemacht wird, daß sich die deutschen Bildungspolitiker an der Selektionsstruktur ihres Schulwesens bis zum Untergang festklammern, wie die Titanicmusiker an ihren Instrumenten.
Die Hoffnung wird jedoch schon irritiert, wenn Lenzen im zweiten Abschnitt seines Artikels zu den Mängeln des deutschen Bildungssystems folgendes bemerkt: "Will man heute das Bildungssystem verändern, so geht es darum, ökonomische und soziale Trends sowie Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, die sich bis in die Zeit des Jahres 2020 erstrecken." Moment! Wieso nur bis 2020? Das ist doch schon bald. Und wieso genau bis dahin? Und was ist im Jahre 2021 nun wieder los, wovon Lenzen schon weiß, wir jedoch nicht? Und welche sozialen Trends und Rahmenbedingungen, die wir berücksichtigen sollen, meint er überhaupt? Leider sagt er es uns nicht. Aber ich bin mißtrauisch geworden, denn die Tendenzen, die ich sehe, werden vermutlich nicht im Jahre 2021 schon wieder enden.
Aber vielleicht war es ja nur ungeschickt formuliert, also sehen wir weiter: "Die Beteiligung im Bildungssystem ist unzureichend und sozial ungleich verteilt: Die Leistungselite ist zu klein, die Zahl der Leistungsschwachen und Benachteiligten zu groß." Immerhin richtige Diagnose. Aber die kennen wir schon und hatten sie auch schon konkreter. Jetzt hoffen wir auf Lenzens Therapieplan:
"In der Primarschule werden Kinder bis zum vollendeten vierzehnten Lebensjahr gemeinsam unterrichtet." Gut. Wenigstens acht Jahre gemeinsame Schule für alle. Aber wieso 8, warum nicht 9 wie in Finnland oder 10 wie in der DDR? Und dann: "Heterogene Lernvoraussetzungen sollten in der Sekundarstufe I zu einer Differenzierung führen. Diese Stufe wird angeboten als Sekundarschulform in Form einer kombinierten Haupt- und Realschule ... für das zweite und dritte Leistungssegment; als Gymnasium ... für mindestens den obersten Leistungsbereich." Aber warum gibt es nach der gemeinsamen Schulzeit noch relevante heterogene Lernvoraussetzungen? Zu kurze Zeit? Verfehlte Lernkultur? Schlechte Lehrer, mangelhafte Förderung? Irgendwie kann sich Lenzen offenbar doch nicht von dem Gedanken einer für Haupt-, Real- und Gymnasialbildung anscheinend biologisch differenziert befähigten Menschheit (zumindest in Deutschland) verabschieden. In welche Tüte der junge Mensch gehört, zeigt sich für ihn dann am Ende des 14. Lebensjahrs in "Leistungstests ..., die zum Beispiel [?] weitgehend [?] darüber mit [?] entscheiden, ob ein Jugendlicher auf ein Gymnasium gehen kann."
"Darüber hinaus müssen Sonderschulen für Kinder mit Behinderungen und Spezialschulen für Kinder mit besonderen Begabungen geschaffen werden." Wie? Geschaffen werden? Sonderschulen? Diese hatten wir doch schon immer, nur daß sie mittlerweile schamhaft Förderschulen genannt werden. Also doch die guten Lerner und die schwierigen früh absondern, damit es homogen zugeht?
Und schließlich: "Die Einführung einer undifferenzierten Einheitsschule, die das Wahl- und Bestimmungsrecht der Eltern ins Leere laufen ließe, wäre verfassungswidrig und ist strikt abzulehnen." Im GG der BRD steht nirgendwo etwas zum gegliederten Schulsystem, das aufzuheben verfassungswidrig wäre. Welche Verfassung meint er? Was wählen die Eltern denn da? Ich dachte, die Tests sollen "zum Beispiel weitgehend" die Eintütung in die Sekundarschulform "mit"bestimmen? Es können also doch wieder nicht alle Eltern wählen, nur die, deren Kinder die Tests bestanden haben und sowieso auf Gymnasium dürfen? Die sollen dann die Erlaubnis haben, für ihr Kind trotzdem freiwillig die Hauptrealschule zu wählen? Toll! Wäre da nicht in Lenzens unergründlicher Logik doch eher diese Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium "verfassungsfeindlich"? Und die gemeinsame Primarschule bis 14 scheint auch nicht ernst gemeint, denn in der dazugehörigen Grafik auf S. 7 sind ab ca. dem 10. Lebensjahr zwei parallele Schulformen - Sekundarschule und Gymnasium angesagt. Und selbst, wenn man noch in Rechnung stellt, daß nach dieser Grafik die Einschulung in die Primarstufe mit 4 Jahren erfolgt, käme trotzdem nur die in Berlin(West) schon seit 50 Jahren betriebene 6-jährige Grundschule heraus. Danach würden die Schüler auf zwei verschiedene Schulformen verteilt - nach Elternwillen? - , nämlich aufs Gymnasium und aufs Nichtgymnasium, um anschließend mit 14 Jahren eine Aufnahmeprüfung für die gymnasiale Oberstufe zu machen. Mit Chance nach vier Jahren Haupt- und Realschule?
Das kann doch nicht ernst gemeint sein!
Ich hätte lieber nichts erwarten sollen.
"Grundlegende Änderungen"? "Perspektiven zur Reform"? - Nichts dergleichen. Stattdessen Variation X der bekannten Melodie, die mitsamt der Posaune und dem Schiff untergehen wird!
Die Hoffnung wird jedoch schon irritiert, wenn Lenzen im zweiten Abschnitt seines Artikels zu den Mängeln des deutschen Bildungssystems folgendes bemerkt: "Will man heute das Bildungssystem verändern, so geht es darum, ökonomische und soziale Trends sowie Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, die sich bis in die Zeit des Jahres 2020 erstrecken." Moment! Wieso nur bis 2020? Das ist doch schon bald. Und wieso genau bis dahin? Und was ist im Jahre 2021 nun wieder los, wovon Lenzen schon weiß, wir jedoch nicht? Und welche sozialen Trends und Rahmenbedingungen, die wir berücksichtigen sollen, meint er überhaupt? Leider sagt er es uns nicht. Aber ich bin mißtrauisch geworden, denn die Tendenzen, die ich sehe, werden vermutlich nicht im Jahre 2021 schon wieder enden.
Aber vielleicht war es ja nur ungeschickt formuliert, also sehen wir weiter: "Die Beteiligung im Bildungssystem ist unzureichend und sozial ungleich verteilt: Die Leistungselite ist zu klein, die Zahl der Leistungsschwachen und Benachteiligten zu groß." Immerhin richtige Diagnose. Aber die kennen wir schon und hatten sie auch schon konkreter. Jetzt hoffen wir auf Lenzens Therapieplan:
"In der Primarschule werden Kinder bis zum vollendeten vierzehnten Lebensjahr gemeinsam unterrichtet." Gut. Wenigstens acht Jahre gemeinsame Schule für alle. Aber wieso 8, warum nicht 9 wie in Finnland oder 10 wie in der DDR? Und dann: "Heterogene Lernvoraussetzungen sollten in der Sekundarstufe I zu einer Differenzierung führen. Diese Stufe wird angeboten als Sekundarschulform in Form einer kombinierten Haupt- und Realschule ... für das zweite und dritte Leistungssegment; als Gymnasium ... für mindestens den obersten Leistungsbereich." Aber warum gibt es nach der gemeinsamen Schulzeit noch relevante heterogene Lernvoraussetzungen? Zu kurze Zeit? Verfehlte Lernkultur? Schlechte Lehrer, mangelhafte Förderung? Irgendwie kann sich Lenzen offenbar doch nicht von dem Gedanken einer für Haupt-, Real- und Gymnasialbildung anscheinend biologisch differenziert befähigten Menschheit (zumindest in Deutschland) verabschieden. In welche Tüte der junge Mensch gehört, zeigt sich für ihn dann am Ende des 14. Lebensjahrs in "Leistungstests ..., die zum Beispiel [?] weitgehend [?] darüber mit [?] entscheiden, ob ein Jugendlicher auf ein Gymnasium gehen kann."
"Darüber hinaus müssen Sonderschulen für Kinder mit Behinderungen und Spezialschulen für Kinder mit besonderen Begabungen geschaffen werden." Wie? Geschaffen werden? Sonderschulen? Diese hatten wir doch schon immer, nur daß sie mittlerweile schamhaft Förderschulen genannt werden. Also doch die guten Lerner und die schwierigen früh absondern, damit es homogen zugeht?
Und schließlich: "Die Einführung einer undifferenzierten Einheitsschule, die das Wahl- und Bestimmungsrecht der Eltern ins Leere laufen ließe, wäre verfassungswidrig und ist strikt abzulehnen." Im GG der BRD steht nirgendwo etwas zum gegliederten Schulsystem, das aufzuheben verfassungswidrig wäre. Welche Verfassung meint er? Was wählen die Eltern denn da? Ich dachte, die Tests sollen "zum Beispiel weitgehend" die Eintütung in die Sekundarschulform "mit"bestimmen? Es können also doch wieder nicht alle Eltern wählen, nur die, deren Kinder die Tests bestanden haben und sowieso auf Gymnasium dürfen? Die sollen dann die Erlaubnis haben, für ihr Kind trotzdem freiwillig die Hauptrealschule zu wählen? Toll! Wäre da nicht in Lenzens unergründlicher Logik doch eher diese Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium "verfassungsfeindlich"? Und die gemeinsame Primarschule bis 14 scheint auch nicht ernst gemeint, denn in der dazugehörigen Grafik auf S. 7 sind ab ca. dem 10. Lebensjahr zwei parallele Schulformen - Sekundarschule und Gymnasium angesagt. Und selbst, wenn man noch in Rechnung stellt, daß nach dieser Grafik die Einschulung in die Primarstufe mit 4 Jahren erfolgt, käme trotzdem nur die in Berlin(West) schon seit 50 Jahren betriebene 6-jährige Grundschule heraus. Danach würden die Schüler auf zwei verschiedene Schulformen verteilt - nach Elternwillen? - , nämlich aufs Gymnasium und aufs Nichtgymnasium, um anschließend mit 14 Jahren eine Aufnahmeprüfung für die gymnasiale Oberstufe zu machen. Mit Chance nach vier Jahren Haupt- und Realschule?
Das kann doch nicht ernst gemeint sein!
Ich hätte lieber nichts erwarten sollen.
"Grundlegende Änderungen"? "Perspektiven zur Reform"? - Nichts dergleichen. Stattdessen Variation X der bekannten Melodie, die mitsamt der Posaune und dem Schiff untergehen wird!
Lisa Rosa - 12. Apr, 12:41