Sonntag, 12. November 2006

Israel – Deutschland – Israel

Empfehlen möchte ich ein Buch, das der Autor gestern in Hamburg vorstellte :

Moshe Zuckermann, Israel – Deutschland – Israel. Reflexionen eines Heimatlosen, Wien 2006 (Passagen Verlag), 219 Seiten, 26 Euro

Moshe Zuckermann, geboren 1949 in Tel Aviv als Sohn Shoah-Überlebender, verbrachte seine zweite Lebensdekade in Frankfurt, wo er mit Adorno und Horkheimer bekannt wurde. In der Hoffnung auf das spezifisch zionistische Projekt eines sozialistischen Staates im Nahen Osten zog Zuckermann 1970 zurück nach Israel, wo er seine wissenschaftliche Karriere mit einem Soziologiestudium begann und seither lebt. Zuckermann ist marxistischer Soziologe und Historiker. Seit 1990 lehrt er am Cohn Institute for the History and Philosophy of Science and Ideas an der Universität Tel Aviv und war von 2000 bis 2005 Direktor des Instituts für Deutsche Geschichte in Tel Aviv. Als heimatlos erlebt er sich nicht nur wegen der Unmöglichkeit, sich als überlebender Jude in Deutschland beheimatet zu fühlen, sondern auch wegen der fundamentalen Enttäuschung seiner sozialistisch-zionistischen Hoffnung, die durch die Folgen der Besatzungspolitik Israels seit dem Sechstage-Krieg 1967 ausgelöst wurde. Heimat – so zitiert Zuckermann Ernst Bloch – ist erst möglich, wenn die Gesellschaft befreit ist.

Sein neues Buch verknüpft persönliche Lebenserfahrung mit weltgeschichtlich bedeutsamem Kontext. Eine Autobiografie zu verfassen, hält sich Zuckermann für nicht bedeutend und noch nicht alt genug, wie er gestern bei der Buchvorstellung in der Universität Hamburg bekannte. "Seinen Narzißmus sollte man privat ausleben – nicht öffentlich", befand er. Jedoch besteht durch die Kontingenz seiner Geburt in den besonderen zeiträumlichen Zusammenhang die Möglichkeit, soziale und politische Geschichte anhand ihrer Spuren im persönlichen Erleben Zuckermanns aufzudecken. "Weil ihm das besondere Schreibtalent eines Klaus Mann" fehle, habe er besondere Aufmerksamkeit auf die Methode seiner Darstellung verwenden müssen – und dabei eine Methode entwickelt, mit der die Umsetzung seiner Intentionen gelungen ist, wie ich finde:
Das Buch besteht aus drei Teilen – der erste Teil: die 50er Jahre in Israel, der zweite: die 60er Jahre in Deutschland und der dritte wieder Israel seit 1970. Die einzelnen Kapitel – jeweils fünf in den ersten beiden Teilen und acht im dritten Teil – behandeln jedes einen besonderen Aspekt der israelischen bzw. deutschen Geschichte. Sie sind alle ebenfalls dreiteilig konstruiert: Zunächst schildert Zuckermann ein persönliches Erlebnis oder eine Anekdote, an deren Kern im zweiten Teil ein besonderer Aspekt des historischen Kontexts entfaltet wird; schließlich rekurriert er im dritten Abschnitt wieder auf die Anekdote, die er nun mittels des gewonnenen Kontextwissens abschließend interpretiert.

Die Verknüpfungen und Befunde sind durchweg interessant und überzeugend. In den historisch-soziologischen Teilen des gesellschaftlichen Kontexts ist Zuckermanns Sprache dem Gegenstand angemessen diszipliniert – in den anekdotischen Teilen ist sie durch unnötige Überladung mit Adjektiven, Pathos und Selbstparaphrasierungen umständlich, wirkt wie eine versuchte Thomas-Mann-Stilkopie und verleiht den Anekdoten beinahe tragisches Gewicht. Schade – ein wenig Humor und Leichtigkeit hätte den Anekdoten besser gestanden und dafür dem Kontext mehr Gewicht beigemessen, der – zumindest laut Absichtserklärung – der Hauptgegenstand sein sollte.
Ich kann dem Eindruck nicht widerstehen, hier den Narzißmus, der privat bleiben sollte, doch noch veröffentlicht zu sehen.

Auf der gestrigen Veranstaltung wurde – wie zu erwarten war – nur zum dritten Teil des Zuckermannbuches gefragt und diskutiert: Welche Perspektive sieht Moshe Zuckermann für Israel? Zuckermann wiederholte und präszisierte hier den schon 2003 in seinem im Konkret-Verlag vorgelegten Band Zweierlei Israel? überzeugenden Befund:
"Israel hat alle Karten in der Hand", so Zuckermann. Weil die Region in Zukunft die zentrale Bedeutung in der Auseinandersetzung zwischen dem Westen und dem sich herausbildenden neuen Osten (China, Indien) haben wird, kann Israel nur überleben, wenn es zu einem Frieden in Nahost kommt. Israel braucht den Frieden für seine Existenz, die davon abhängen wird, ob es als ein Land in der Region akzeptiert wird. Diese Akzeptanz wird jedoch nicht – oder zumindest nicht allein – mit militärischer Stärke erreicht. Aber auch die Palästinenser brauchen zum Überleben den Frieden. Israel muß sich mit Notwendigkeit aus den besetzten Gebieten zurückziehen, alle Siedlungen abbauen, die Jerusalemfrage zur Verhandlung stellen und symbolisch das Rückkehrrecht der Flüchtlinge anerkennen. Das sind nach Zuckermann die Voraussetzungen für eine Zukunft Israels. In einer ersten Phase liege die Zukunft in der Zweistaatenlösung mit der nationalen Selbstständigkeit der Palästinenser. Für eine langfristige Perspektive sieht Zuckermann die Notwendigkeit der Überwindung des Nationalstaats – parallel zur globalen Entwicklungstendenz der Entstaatlichung –, nämlich die Entwicklung zu einer föderativen Struktur (Israel, Palästina, Syrien, Jordanien), in der gravierende gemeinsame ökologische und ökonomische Probleme – wie etwa das zentrale Problem der Wasserversorgung – in gemeinsamer Aushandlung gelöst werden können.

Auf die Frage aus dem Publikum, wer denn "Israel auf die Sprünge helfen" könne, da es offenbar selbst diesen Weg in die Zukunft nicht fände, antwortete Moshe Zuckermann unmißverständlich: Deutschland jedenfalls nicht! Auch Amerika wird es nicht können, da es seine Nahost-Politik erst dann ändere, wenn es Israel nicht mehr für seine geopolitischen Interessen einsetzen könne, sondern sich im Gegenteil durch Israel in seinen geopolitischen Interessen bedroht fühlt. Dann aber würde Amerika "Israel möglicherweise fallen lassen wie eine heiße Kartoffel". Israel wird seine Gesellschaft selbst befreien müssen, so Zuckermann. Die Ermordung Rabins sei eine Tragödie gewesen, denn dieser habe die Unvermeidlichkeit der Rückgabe der Gebiete begriffen und auch das nötige Charisma besessen, um in Israel diese Politik ohne Bürgerkrieg durchzusetzen.

Trotz des kritisierten Stils - Geschmacksfrage vielleicht - ist das neue Zuckermann-Buch nicht nur eine Fundgrube für Informationen über die Geschichte Israels und des Nahostkonflikts, es gibt auch eine interessante Perspektive auf deutsche Geschichte in den 60er Jahren.

In ak - analyse & kritik - ein sehr interessantes Interview mit Moshe Zuckermann über sein Buch, die deutsche Linke und Israel und über den vergangenheitspolitischen Diskurs in Deutschland
Bild: Ivan Montero / fotolia

shift.

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