Von der Seele geschrieben
hat sich auf den Nachdenkseiten eine Bremer Lehrerin ihre Frustration über die krassen Widersprüche, die die Lehrkräfte im System Schule heutzutage aushalten müssen - nicht nur in Bremen natürlich, sondern in der ganzen Republik. Ich gebe ihr Recht - in allen Aspekten, die sie an diesen Widersprüchen beschreibt. Ich fasse sie mal so zusammen:
Es gibt einen eklatanten Widerspruch zwischen der gesellschaftlichen Notwendigkeit einer radikalen Neukonstruktion des Bildungssystems einerseits und der fehlenden Bereitschaft bzw. Fähigkeit eben dieses Systems zur Einsicht in diese Notwendigkeit und zur Überwindung von Veränderungsängsten, von Borniertheit und Milchmädchenrechenmentalität andererseits. Kurz: Es soll alles anders werden, aber es soll bitte gleichzeitig nicht weh tun, und möglichst alles so bleiben, wie es ist.
Wie schafft es ein System nur, so blöde zu sein?
Einige Antworten versucht die Bremer Kollegin, zusammengefasst lauten sie: Die Manager des Systems (Schulbehörde, Bildungspolitiker) wollen mit demselben Mechanismus - der administrativen Anweisung und Kontrolle von oben auf Deubel komm raus etwas erreichen, was mit diesem Instrument eben nicht zu erreichen ist: Die Herstellung - oder Wiederherstellung - des Vertrauens in und die Bereitschaft zur konstruktiven Mitwirkung an "unserer Demokratie". Vertrauen und Bereitschaft haben sich verflüchtigt - nicht nur bei den Schülern, die ihrer Schul- und Lernpflicht nicht nachkommen und sich weigern, sich auf ein Leben in dieser "unserer Demokratie" vorbereiten zu lassen.
Ich stimme der Kollegin unbedingt zu: Vertrauen sowie Bereitschaft und Fähigkeit zu kreativer Innovation sind nicht durch Anordnung, Druck, Kontrolle und Entmündigung herstellbar. Natürlich nicht. Aber was kann man denn tun als engagierter Lehrer, Schulleiter, Elternvertreter, wenn diese Dummbeutel da oben ihre Angst vor Kontrollverlust einfach nicht überwinden können - vielleicht die ganze "Leistungsträgerschaft" ab Gehaltsklasse B auf die Couch schicken?
Die Widersprüche erfahren und aufzeigen ist das eine. Das ist der Bremer Lehrerin gelungen. Aber man muß nicht dabei stehen bleiben - die Folgen wären Resignation, Burnout, Zynismus, eben all das Unglück, das auf dieser Stufe den Praktiker ereilen kann.
Daß man aber nicht immerfort den Kopf einziehen muss, wenn man sich die Nase an der Systemgrenze angeschlagen hat, sondern Spielräume finden, testen, erweitern kann, um nicht passives Opfer sondern aktiver Gestalter/Gestalterin zu werden, zeigt folgende Geschichte, die Schul-Um- und -Neugründerin Enja Riegel kürzlich erzählte:
Die Schule in Wiesbaden fand es pädagogisch sinnvoll, einen Theaterregisseur einzustellen. 'Kein Geld, gibts nicht, wo kämen wir denn da hin ... usw.' die Schulbehörde.
Die Schule fand es pädagogisch richtig, dass die Schüler ihre Räume selbst sauber halten anstatt ihren Dreck den Putzfrauen zu überlassen. 'Kommt nicht in Frage, die Putzfrauen müssen putzen, wo kämen wir denn da hin ... usw.' die Schulbehörde.
Die Schüler putzten trotzdem - wer hätte es verbieten können? - Die Putzfrauen hatten nichts mehr zu tun und meldeten das der Behörde, da war ja schließlich Geld zu sparen! Die Behörde erlaubte die Einsparung, nachdem sie sie begriffen hatte, es kam schließlich sogar im nächsten Jahr dazu, dass die Schule wenigstens einen Teil des Putzgeldes zur eigenen Verwendung erhielt ... natürlich wurde sofort davon endlich der Regisseur bezahlt ... usw.
Aber jetzt kommt der Clou: Der Schulrat wurde zur Theaterpremiere eingeladen - natürlich als VIP in die vorderste Reihe. Nach dem letzten Vorhang stellten sich die schauspielenden Schüler auf die Bühne, zeigten auf den Schulrat in der ersten Reihe und dankten ihm herzlich dafür , dass er diese tolle Theateraufführung möglich gemacht hat. Der Schulrat stutzte - war ihm doch bewusst, daß er im Gegenteil alles dazu getan hatte, sie zu verhindern. Nun: Durch die Wiederholungen dieses Vorgangs im nächsten und spätestens übernächsten Jahr hatte er sich so dran gewöhnt, sich als der Mäzen dieser Theaterereignisse fühlen zu dürfen, daß er tatsächlich davon überzeugt war, hinter dieser Innovation zu stehen. Und selbstverständlich ist seitdem Selbstputzen und einen Theaterregisseur in der Schule haben völlig konform mit den Systemregeln.
Eval'd Il'enkov machte deutlich, daß Geschichte als fortwährende Veränderung überhaupt nur möglich ist durch individuelle Abweichung vom Üblichen und Erlaubten :
"In der Realität geschieht es immer wieder, dass ein Phänomen, das später universell wird, ursprünglich als ein individuelles, partielles, spezifisches Phänomen, als eine Ausnahme von der Regel auftritt. Es kann tatsächlich nicht auf andere Art und Weise auftreten. Andernfalls wäre Geschichte [als Entwicklungsprozess] eine ziemlich mysteriöse Angelegenheit. Darum taucht jeder neue Arbeitsfortschritt, jede neue Form menschlicher Handlung in der Produktion zuerst als eine gewisse Abweichung von den bisher akzeptierten und kodifizierten Normen auf, ehe sie allgemein akzeptiert und anerkannt wird. Nachdem die neue Form als eine individuelle Ausnahme von der Regel in der Arbeit eines oder mehrerer Menschen aufgetaucht ist, wird sie dann von anderen übernommen und wird mit der Zeit eine neue universelle Norm. Wenn die neue Norm ursprünglich nicht exakt auf diese Weise in Erscheinung träte, würde sie niemals eine wirklich universelle Form werden, sondern lediglich in der Fantasie, im Wunschdenken existieren."
(Eval'd Il'enkov, The dialectics of the abstract and the concrete in Marx's 'Capital'. Moskau 1982, S. 83f, Übersetzung aus dem Englischen LR)
Es gibt einen eklatanten Widerspruch zwischen der gesellschaftlichen Notwendigkeit einer radikalen Neukonstruktion des Bildungssystems einerseits und der fehlenden Bereitschaft bzw. Fähigkeit eben dieses Systems zur Einsicht in diese Notwendigkeit und zur Überwindung von Veränderungsängsten, von Borniertheit und Milchmädchenrechenmentalität andererseits. Kurz: Es soll alles anders werden, aber es soll bitte gleichzeitig nicht weh tun, und möglichst alles so bleiben, wie es ist.
Wie schafft es ein System nur, so blöde zu sein?
Einige Antworten versucht die Bremer Kollegin, zusammengefasst lauten sie: Die Manager des Systems (Schulbehörde, Bildungspolitiker) wollen mit demselben Mechanismus - der administrativen Anweisung und Kontrolle von oben auf Deubel komm raus etwas erreichen, was mit diesem Instrument eben nicht zu erreichen ist: Die Herstellung - oder Wiederherstellung - des Vertrauens in und die Bereitschaft zur konstruktiven Mitwirkung an "unserer Demokratie". Vertrauen und Bereitschaft haben sich verflüchtigt - nicht nur bei den Schülern, die ihrer Schul- und Lernpflicht nicht nachkommen und sich weigern, sich auf ein Leben in dieser "unserer Demokratie" vorbereiten zu lassen.
Ich stimme der Kollegin unbedingt zu: Vertrauen sowie Bereitschaft und Fähigkeit zu kreativer Innovation sind nicht durch Anordnung, Druck, Kontrolle und Entmündigung herstellbar. Natürlich nicht. Aber was kann man denn tun als engagierter Lehrer, Schulleiter, Elternvertreter, wenn diese Dummbeutel da oben ihre Angst vor Kontrollverlust einfach nicht überwinden können - vielleicht die ganze "Leistungsträgerschaft" ab Gehaltsklasse B auf die Couch schicken?
Die Widersprüche erfahren und aufzeigen ist das eine. Das ist der Bremer Lehrerin gelungen. Aber man muß nicht dabei stehen bleiben - die Folgen wären Resignation, Burnout, Zynismus, eben all das Unglück, das auf dieser Stufe den Praktiker ereilen kann.
Daß man aber nicht immerfort den Kopf einziehen muss, wenn man sich die Nase an der Systemgrenze angeschlagen hat, sondern Spielräume finden, testen, erweitern kann, um nicht passives Opfer sondern aktiver Gestalter/Gestalterin zu werden, zeigt folgende Geschichte, die Schul-Um- und -Neugründerin Enja Riegel kürzlich erzählte:
Die Schule in Wiesbaden fand es pädagogisch sinnvoll, einen Theaterregisseur einzustellen. 'Kein Geld, gibts nicht, wo kämen wir denn da hin ... usw.' die Schulbehörde.
Die Schule fand es pädagogisch richtig, dass die Schüler ihre Räume selbst sauber halten anstatt ihren Dreck den Putzfrauen zu überlassen. 'Kommt nicht in Frage, die Putzfrauen müssen putzen, wo kämen wir denn da hin ... usw.' die Schulbehörde.
Die Schüler putzten trotzdem - wer hätte es verbieten können? - Die Putzfrauen hatten nichts mehr zu tun und meldeten das der Behörde, da war ja schließlich Geld zu sparen! Die Behörde erlaubte die Einsparung, nachdem sie sie begriffen hatte, es kam schließlich sogar im nächsten Jahr dazu, dass die Schule wenigstens einen Teil des Putzgeldes zur eigenen Verwendung erhielt ... natürlich wurde sofort davon endlich der Regisseur bezahlt ... usw.
Aber jetzt kommt der Clou: Der Schulrat wurde zur Theaterpremiere eingeladen - natürlich als VIP in die vorderste Reihe. Nach dem letzten Vorhang stellten sich die schauspielenden Schüler auf die Bühne, zeigten auf den Schulrat in der ersten Reihe und dankten ihm herzlich dafür , dass er diese tolle Theateraufführung möglich gemacht hat. Der Schulrat stutzte - war ihm doch bewusst, daß er im Gegenteil alles dazu getan hatte, sie zu verhindern. Nun: Durch die Wiederholungen dieses Vorgangs im nächsten und spätestens übernächsten Jahr hatte er sich so dran gewöhnt, sich als der Mäzen dieser Theaterereignisse fühlen zu dürfen, daß er tatsächlich davon überzeugt war, hinter dieser Innovation zu stehen. Und selbstverständlich ist seitdem Selbstputzen und einen Theaterregisseur in der Schule haben völlig konform mit den Systemregeln.
Eval'd Il'enkov machte deutlich, daß Geschichte als fortwährende Veränderung überhaupt nur möglich ist durch individuelle Abweichung vom Üblichen und Erlaubten :
"In der Realität geschieht es immer wieder, dass ein Phänomen, das später universell wird, ursprünglich als ein individuelles, partielles, spezifisches Phänomen, als eine Ausnahme von der Regel auftritt. Es kann tatsächlich nicht auf andere Art und Weise auftreten. Andernfalls wäre Geschichte [als Entwicklungsprozess] eine ziemlich mysteriöse Angelegenheit. Darum taucht jeder neue Arbeitsfortschritt, jede neue Form menschlicher Handlung in der Produktion zuerst als eine gewisse Abweichung von den bisher akzeptierten und kodifizierten Normen auf, ehe sie allgemein akzeptiert und anerkannt wird. Nachdem die neue Form als eine individuelle Ausnahme von der Regel in der Arbeit eines oder mehrerer Menschen aufgetaucht ist, wird sie dann von anderen übernommen und wird mit der Zeit eine neue universelle Norm. Wenn die neue Norm ursprünglich nicht exakt auf diese Weise in Erscheinung träte, würde sie niemals eine wirklich universelle Form werden, sondern lediglich in der Fantasie, im Wunschdenken existieren."
(Eval'd Il'enkov, The dialectics of the abstract and the concrete in Marx's 'Capital'. Moskau 1982, S. 83f, Übersetzung aus dem Englischen LR)
Lisa Rosa - 17. Dez, 09:51