WissensWert Blog Carnival Nr. 6 "Sein Wissen ins Netz stellen"
Im neuesten Wissenswert Blogcarnival fragt Lore Reß "Sein Wissen ins Netz stellen - bedeutet das, das Wissen an Diebe zu verlieren oder etwas zu gewinnen? Wird mir die Butter vom Brot genommen, oder kann ich damit auch etwas gewinnen?"
Mein Fazit gleich vorweg: Es gibt kein Wissen, das nicht angewendet wird. Als Lehrer gehört es zu meinen wichtigsten Arbeitszielen, dass andere mit "meinem" Wissen arbeiten.
Nun habe ich einen großen Vorteil und kann natürlich leicht reden: Ich bin keine Freelancerin oder Ich-AGlerin, die sich ihre zahlende Kundschaft suchen muss. Ich bin in Amt und Brot beim Staat und muss mich nicht ums Geld kümmern, sondern nur um meine Arbeit. Das macht einen himmelweiten Unterschied.
Der Kern meiner Arbeit ist trotzdem vergleichbar mit dem von Akteuren auf dem privaten Lernmarkt: Ich organisiere und begleite Lernprozesse. Meine Professionalität besteht darin, wie gut oder schlecht ich das kann. Ich brauche dazu passende Instrumente aber ebenso die Kompetenzen, mit ihnen professionell umzugehen. "Ins Netz stellen" – also publizieren – kann ich allenfalls die Instrumente und Erklärungen dazu, wie ich diese verwende. Meine professionelle Kompetenz kann ich jedoch nicht publizieren, ich kann sie nur in Ausübung meiner Tätigkeit, Lernprozesse zu organisieren, anwenden. Und da ich Lernprozesse für Lehrer und angehende Lehrer organisiere, habe ich ein Interesse daran, dass sie mein Wissen teilen. Mein spezifisches Kompetenzbündel ist an meine Person gebunden. ("Das wichtigste Curriculum eines Lehrers ist seine eigene Person", so Hartmut v. Hentig). Keineswegs besteht mein Wissen nur aus den Werkzeugen – die ich vielleicht in Teilen selbst erfunden habe – sondern auch aus der Fähigkeit zur Gestaltung der Prozesse, die ich jeweils situativ an die konkrete Lerngruppe anpassen und mit ihr zusammen entwickeln muss. Mein Wissen besteht also auch aus der Praxis-Erfahrung, über die ich zwar reflektierend schreiben kann, die ich aber durch Publikation nur bedingt an andere "weggeben" kann. Erfahrungen kann man nicht vermittelnd übertragen. Man muss sie selbst erwerben. Ich habe also gar nicht die Möglichkeit, mein professionelles Wissen als Ganzes "wegzugeben", sodass ich mir damit etwa selbst die "Butter vom Brot nehmen" würde.
Wenn ich meine Reflexionen und Instrumente publiziere - ganz wurscht ob in Printmedien oder online, dann sind sie mit meinem Namen verknüpft. Dass sie trotzdem enteignet werden können, kann man natürlich nicht gänzlich verhindern. Ärgerlich ist bei solchen Fällen natürlich nicht nur, wenn ein Anderer sich damit "schmückt", sondern ebenso oder erst Recht, wenn sie in anderem Sinne benutzt werden als ich das für richtig halte, "verfälscht" und dann noch mit meinem Namen verbunden werden. Auch das kommt vor. Aber: Dieses Problem ist ein Problem von Publikation überhaupt – nicht nur ein Problem der Online-Veröffentlichung. Und was die "Bezahlung" angeht: Wer publiziert schon, um damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen? Selbst viel publizierende Wissenschaftler kratzen über VGWort wenn's hoch kommt 1000 Euro pro Jahr zusammen. Manchmal muss man sich für eine Printpublikation sogar an den Kosten beteiligen. Man muss publizieren, gerade wenn man seine "Kunden" selbst finden muss. Womit soll man sie sonst überzeugen, wenn nicht mit den eigenen "Produkten", die Ausweis der Kompetenz sind? Und wo kommt man besser an möglichst viele potenzielle Kunden heran als im Netz?
Wenn ich nicht publiziere, dann passiert noch etwas anderes Schreckliches:
Ich kann nur im eigenen Saft rühren, meine Ideen nicht kritisch diskutieren – außer mit den jeweiligen "Kunden" und im engen f2f-Kollegenkreis. Ich verzichte dann auf die wichtigste Möglichkeit, meine professionelle Kompetenz zu verbessern: auf den Austausch und die Zusammenarbeit mit möglichst vielen, die für mein Weiterkommen Wichtiges beizutragen haben. Das brauche ich aber dringend und kontinuierlich. Wo geht es besser als im Netz? Eine Print-Publikation dauert ewig (wenn man überhaupt einen Herausgeber oder Verleger dafür findet), wird von wenigen gelesen und es gibt wenig Feedback, manchmal erst nach Jahren (von Austausch und Diskussion ganz zu schweigen). Im Web ist das ganz anders: Nach einiger Zeit entsteht ein Netz von Peers, das ich inzwischen als professionelle Lerngemeinschaft begreife und ohne das ich mir meine Arbeit überhaupt nicht mehr vorstellen kann. Seit ich während dieser Netztätigkeit – die nur funktioniert, wenn ich auch meine eigenen Sachen zum Austausch anbiete – englisch gelernt habe, freue ich mich besonders, wie groß meine Lernwelt inzwischen geworden ist. Alles was vor dem Web war, war demgegenüber Krähwinkel. Und erst seitdem habe ich eine vage Ahnung davon, was Professionalität in Zukunft überhaupt erst werden könnte.
Eines meiner entscheidenden Erlebnisse in dieser Hinsicht war vor vier Jahren die Entdeckung eines kanadischen Lehrers, der mit seinen Schülern bloggte. Er stellte seine Instrumente (auch die Schülerarbeitsbögen) erst ins blog, später in flickr, und seine Praxisreflexionen teilte er offen im Netz mit. Ich verwende in meinen eigenen Seminaren seine Strategie und seine "Papiere" – und trage damit nebenbei auch ein Stück dazu bei, dass sein Name hier bekannt wird.
Zweimal ist es mir bislang passiert, dass jemand in meiner Gegenwart mit meinen Instrumenten arbeitet, ohne die "Quelle" anzugeben. Wahrscheinlich war sie ihm gar nicht bekannt. Beim ersten Mal war ich noch versucht zu sagen: Höhö, das ist von mir! Beim zweiten Mal erlebte ich ein Glücksgefühl: Sie an, was du erfunden hast, taugt offenbar und verbreitet sich!
Was kann einem "Lehrer", einem "Wissensverbreiter" Befriedigenderes zustoßen?
Mein Fazit gleich vorweg: Es gibt kein Wissen, das nicht angewendet wird. Als Lehrer gehört es zu meinen wichtigsten Arbeitszielen, dass andere mit "meinem" Wissen arbeiten.
Nun habe ich einen großen Vorteil und kann natürlich leicht reden: Ich bin keine Freelancerin oder Ich-AGlerin, die sich ihre zahlende Kundschaft suchen muss. Ich bin in Amt und Brot beim Staat und muss mich nicht ums Geld kümmern, sondern nur um meine Arbeit. Das macht einen himmelweiten Unterschied.
Der Kern meiner Arbeit ist trotzdem vergleichbar mit dem von Akteuren auf dem privaten Lernmarkt: Ich organisiere und begleite Lernprozesse. Meine Professionalität besteht darin, wie gut oder schlecht ich das kann. Ich brauche dazu passende Instrumente aber ebenso die Kompetenzen, mit ihnen professionell umzugehen. "Ins Netz stellen" – also publizieren – kann ich allenfalls die Instrumente und Erklärungen dazu, wie ich diese verwende. Meine professionelle Kompetenz kann ich jedoch nicht publizieren, ich kann sie nur in Ausübung meiner Tätigkeit, Lernprozesse zu organisieren, anwenden. Und da ich Lernprozesse für Lehrer und angehende Lehrer organisiere, habe ich ein Interesse daran, dass sie mein Wissen teilen. Mein spezifisches Kompetenzbündel ist an meine Person gebunden. ("Das wichtigste Curriculum eines Lehrers ist seine eigene Person", so Hartmut v. Hentig). Keineswegs besteht mein Wissen nur aus den Werkzeugen – die ich vielleicht in Teilen selbst erfunden habe – sondern auch aus der Fähigkeit zur Gestaltung der Prozesse, die ich jeweils situativ an die konkrete Lerngruppe anpassen und mit ihr zusammen entwickeln muss. Mein Wissen besteht also auch aus der Praxis-Erfahrung, über die ich zwar reflektierend schreiben kann, die ich aber durch Publikation nur bedingt an andere "weggeben" kann. Erfahrungen kann man nicht vermittelnd übertragen. Man muss sie selbst erwerben. Ich habe also gar nicht die Möglichkeit, mein professionelles Wissen als Ganzes "wegzugeben", sodass ich mir damit etwa selbst die "Butter vom Brot nehmen" würde.
Wenn ich meine Reflexionen und Instrumente publiziere - ganz wurscht ob in Printmedien oder online, dann sind sie mit meinem Namen verknüpft. Dass sie trotzdem enteignet werden können, kann man natürlich nicht gänzlich verhindern. Ärgerlich ist bei solchen Fällen natürlich nicht nur, wenn ein Anderer sich damit "schmückt", sondern ebenso oder erst Recht, wenn sie in anderem Sinne benutzt werden als ich das für richtig halte, "verfälscht" und dann noch mit meinem Namen verbunden werden. Auch das kommt vor. Aber: Dieses Problem ist ein Problem von Publikation überhaupt – nicht nur ein Problem der Online-Veröffentlichung. Und was die "Bezahlung" angeht: Wer publiziert schon, um damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen? Selbst viel publizierende Wissenschaftler kratzen über VGWort wenn's hoch kommt 1000 Euro pro Jahr zusammen. Manchmal muss man sich für eine Printpublikation sogar an den Kosten beteiligen. Man muss publizieren, gerade wenn man seine "Kunden" selbst finden muss. Womit soll man sie sonst überzeugen, wenn nicht mit den eigenen "Produkten", die Ausweis der Kompetenz sind? Und wo kommt man besser an möglichst viele potenzielle Kunden heran als im Netz?
Wenn ich nicht publiziere, dann passiert noch etwas anderes Schreckliches:
Ich kann nur im eigenen Saft rühren, meine Ideen nicht kritisch diskutieren – außer mit den jeweiligen "Kunden" und im engen f2f-Kollegenkreis. Ich verzichte dann auf die wichtigste Möglichkeit, meine professionelle Kompetenz zu verbessern: auf den Austausch und die Zusammenarbeit mit möglichst vielen, die für mein Weiterkommen Wichtiges beizutragen haben. Das brauche ich aber dringend und kontinuierlich. Wo geht es besser als im Netz? Eine Print-Publikation dauert ewig (wenn man überhaupt einen Herausgeber oder Verleger dafür findet), wird von wenigen gelesen und es gibt wenig Feedback, manchmal erst nach Jahren (von Austausch und Diskussion ganz zu schweigen). Im Web ist das ganz anders: Nach einiger Zeit entsteht ein Netz von Peers, das ich inzwischen als professionelle Lerngemeinschaft begreife und ohne das ich mir meine Arbeit überhaupt nicht mehr vorstellen kann. Seit ich während dieser Netztätigkeit – die nur funktioniert, wenn ich auch meine eigenen Sachen zum Austausch anbiete – englisch gelernt habe, freue ich mich besonders, wie groß meine Lernwelt inzwischen geworden ist. Alles was vor dem Web war, war demgegenüber Krähwinkel. Und erst seitdem habe ich eine vage Ahnung davon, was Professionalität in Zukunft überhaupt erst werden könnte.
Eines meiner entscheidenden Erlebnisse in dieser Hinsicht war vor vier Jahren die Entdeckung eines kanadischen Lehrers, der mit seinen Schülern bloggte. Er stellte seine Instrumente (auch die Schülerarbeitsbögen) erst ins blog, später in flickr, und seine Praxisreflexionen teilte er offen im Netz mit. Ich verwende in meinen eigenen Seminaren seine Strategie und seine "Papiere" – und trage damit nebenbei auch ein Stück dazu bei, dass sein Name hier bekannt wird.
Zweimal ist es mir bislang passiert, dass jemand in meiner Gegenwart mit meinen Instrumenten arbeitet, ohne die "Quelle" anzugeben. Wahrscheinlich war sie ihm gar nicht bekannt. Beim ersten Mal war ich noch versucht zu sagen: Höhö, das ist von mir! Beim zweiten Mal erlebte ich ein Glücksgefühl: Sie an, was du erfunden hast, taugt offenbar und verbreitet sich!
Was kann einem "Lehrer", einem "Wissensverbreiter" Befriedigenderes zustoßen?
Lisa Rosa - 2. Jul, 12:00