corredor (Gast) - 23. Mai, 22:40

Schwer zu machen

Das klingt sehr allgemein und normativ.
Welzer hat auf erschütternde Weise dargelegt, wie sehr historisch konkret die Folgen eines moralischen Partikularismus ausfallen konnten und nachgewiesen, dass unter bestimmten Bedingungen schon die Bereitschaft, die Ausgrenzung des Anderen von der menschlichen Gemeinschaft hinzunehmen, normale Menschen zu Mördern werden ließ.
Daß umgekehrt selbst Menschen, die sozial ausgegrenzt und diskriminiert wurden, der Versuchung widerstehen konnten, im Partikularismus eine Zuflucht zu suchen, sollten wir uns gerade in der Konfrontation mit den dominierenden Positionen im Nahostkonflikt immer wieder ins Bewusstsein rufen.
Dafür zwei Beispiele.
Der damals berühmte jüdische Violonist Bronislav Huberman begründete seine Ablehnung der Einladung Furtwänglers zu einem Konzert mit den Berliner Philharmonikern kurz nach der nationalsozialistischen Machtergreifung mit den Worten:
"In Wahrheit geht es nicht um Violinkonzerte, auch nicht um Juden, es handelt sich um die elementarsten Voraussetzungen unserer europäischen Kultur: die Freiheit der Persönlichkeit und ihre vorbehaltlose, von Kasten- und Rassenfesseln befreite Selbstverantwortlichkeit."
Der jüdische Psychologe Lev Semenovic Vygotskij, der in seiner Vaterstadt das Pogrom von 1903 erlebte und später von den einschneidenden zaristischen Diskriminierungen betroffen war, schrieb 1916:
„Die nationalen Formen der Entwicklungen beschenken uns mit einer unbestreitbaren und mächtigen historischen Tatsache. … Es ist jedoch entscheidend, daß wir einen fundamentalen Irrtum vermeiden. … Ein exzessiver Kult des Völkischen, der das nationale Element im menschlichen Verhalten verstärkt, kultiviert den Nationalismus anstatt das Nationalbewusstsein. Eine nationale Färbung des menschlichen Verhaltens kann man, wie jede kulturelle Errungenschaft, als einen hohen menschlichen Wert betrachten, dies aber nur dann, wenn sie nicht zum Käfig wird, der das Individuum einengt und wie die Schnecke in ihrem Haus von allen äußeren Einflüssen abtrennt. ... Treu zu seinem Volk stehen, heißt, seiner eigenen Individualität gegenüber treu zu sein, und das ist die einzig normale und anständige Weise, sich zu verhalten.“

Lisa Rosa - 24. Mai, 11:29

Bedingungen der Moral

Danke für die wunderbaren Zitate!
Ja, mein Beitrag ist sehr allgemein, das liegt auch daran, daß ich mich eigentlich bemüht hatte, darzulegen, daß die Moralfrage eben keine normativ lösbare ist - wie es jedoch der taz-Kommentar nahelegt. (Ich dachte, das würde in meinem letzten Absatz deutlich). Die Durchsetzung einer universalistischen Moral als allgemeine Mainstream-Moral ist m.E. erst durch die Globalisierung möglich geworden, natürlich noch nicht Wirklichkeit! In der Aufklärung ist die universalistische Moral behauptet, als Idee erschienen, aber überhaupt noch nicht historisch wirklich geworden - die Aufklärer hatten zunächst überhaupt keine Probleme mit der Sklavenhaltung in den Kolonien.

Deinen Hinweis auf Welzer finde ich wichtig, denn er hat die Rahmenbedingungen herausgearbeitet, die daran beteiligt sind, wenn Menschen zu Massenmördern werden. Eine partikularistische Moral ist die wichtigste dabei.
Deine Zitate zeigen, daß es für Einzelne aber immer auch möglich ist, trotz einer allgemeinen gesellschaftlich verbreiteten und verordneten partikularistischen Moral, eine universalistische daneben zu entwickeln und dagegen aufrecht zu erhalten. Es ist kein determinierender Automatismus, der dazu zwingt, der Mehrheitsmoral zu folgen - nicht einmal unter diktatorischen Bedingungen. (Nur so sind ja auch die Widerstandshandlungen im Nationalsozialismus erklärbar.) Und wichtig wäre jetzt, herauszufinden, wie es kommt, woher es kommt, wenn einzelne Individuen entgegen dem Mainstream das universalistische Welt- und Menschenbild haben können und sich in ihrem Handeln danach richten. Woher also haben sie das? Und kann man das für alle bereitstellen?

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