Freitag, 28. September 2007

Anstand, Courage & Co

Jetzt ist es offenkundig: Ein Sonntagsreden-Appell an den Anstand demokratisch denkender Bürger und die bloße Aufforderung zur Zivilcourage reicht überhaupt nicht hin, um den Rechtsextremismus zu bekämpfen.
Diese Lehre vor allem ist der große Gewinn, der aus dem beherzten Engagement des Bürgers Stefan Garmshausen zu ziehen ist, der dem NPD-Kader vor einem Schultor in Waren an der Müritz kurzerhand das Propagandamaterial aus der Hand schlug.

Öffentlich in einer breiten Debatte zu diskutieren ist:
  • Wie muß zivilgesellschaftliches Eingreifen aussehen angesichts des Legalitätskurses der NPD? Die Aktivisten der NPD sind inzwischen sehr genau darin geschult, was sie tun und sagen dürfen, ohne sich strafbar zu machen. Diese Strategie muß man kennen und eine eigene Verhaltensstrategie parat haben, um nicht in die Falle zu tappen, die die NPD damit den "Anständigen und Couragierten" gestellt hat, damit sie sich selbst als Opfer von Übergriffen auf ihre Personen, Sachen und Freiheitsrechte präsentieren kann.
  • Wie müssen sich die Lehrer einer Schule präparieren, um mit dem, was vor den Toren ihrer Schule mit ihren Kindern und Jugendlichen geschieht, adäquat umgehen zu können? Die Lehrer der Schule in Waren haben sich implizit für nicht zuständig – und damit eigentlich ihren pädagogische Bankrott – erklärt.
Die "Schulhof-CD" der NPD und die Art und Weise, wie die NPD Kinder für ihre menschenfeindliche Sache wirbt, ist seit langem bekannt. Die Lehrer müssen dieses Material kennen! Es gibt "Argumentationshilfen" und Unterrichtsvorschläge dazu. Aber es ist nicht nur Sache der Politiklehrer, im Schulhaus damit Unterricht zu machen. Das ganze Kollegium muss sich darüber austauschen und eine gemeinsame Strategie der Intervention entwickeln. Wenn ein NPD-Kader mit Material vor der Schule auftaucht, dann ist das eine hervorragende Lerngelegenheit, die viel mehr Lernmöglichkeiten bietet als jede Politikstunde im Stundenplan! Die Lehrer müssen aus der Schule herauskommen und sich mit ihrer ganzen Person ins Leben einmischen.
Sinnvoll einmischen kann man sich aber nur, wenn man den Gegner und die Situation gut kennt. Wenn man weiß, welches Programm die NPD hat - und daraus möglichst auch wörtlich zitieren kann! Wenn man weiß, wie ihre Strategie aussieht, und wie sie sich taktisch verhält. Und wenn man genau weiß, was man argumentativ und im Interesse des eigenen Lebens dagegen setzen muß. Ein überzeugendes Streitgespräch der Lehrer mit dem NPD-Aktivisten vor ihrem Schultor um das, was die NPD aus Deutschland machen möchte, und darum, was das für die Kinder bedeuten würde, wenn die Pläne der NPD Realität würden – das ist von den Erziehern unserer Kinder zu fordern. Nicht darum, den NPD-Mann zu überzeugen, sondern darum, den Kindern mit dem eigenen Engagement vorzuführen, welche Gründe auch der Lehrer selbst hat, dieses Programm und diese Partei zu bekämpfen.

Auch nachholend kann die Schule jedoch noch produktiv mit diesem Vorfall umgehen. Z.B:
  • eine Veranstaltung, eine Konferenz des Kollegiums darüber, wo die Lehrer in der Sache unsicher und darum verständlicherweise an einem adäquaten pädagogischen Umgang mit solchen Ereignissen gehindert sind; welche Art Fortbildung sie darum bräuchten usw.;
  • eine Veranstaltung für die gesamte Schulcommunity zur Entwicklung einer demokratischen Schulkultur;
  • eine Dilemma-Diskussion über demokratisches Handeln als Podiumsveranstaltung, vorbereitet und durchgeführt von einer Schülergruppe mit Experten
"Das wichtigste Curriculum des Lehrers ist seine eigene Person." (Hartmut von Hentig).

Das zu begreifen und danach zu handeln, wäre schon sehr gut. Aber auch das reicht noch nicht. Denn die Wahlkampfstrategie und die Argumente der NPD sind keine magische Verführung, die man bloß entzaubern müßte. Der "Kampf um die Köpfe" kann für die NPD nur darum zuweilen aufgehen, weil sie reale Problemlagen anspricht. Weil die NPD auf etwas zu antworten scheint, was dringend nach einer Resonanz verlangt, die offenbar bisher ausgeblieben ist – im Unterricht der Schule nicht gegeben wurde. Auf diese Probleme muß Schule reagieren; sie darf die Formulierung der Probleme und die Antworten auf die Probleme nicht der NPD überlassen. Welche Probleme das sind? Es ist vor allem die mangelnde Zukunftsperspektive der Kinder und Jugendlichen; es ist das Fehlen von herausfordernden Lerngelegenheiten, in denen die Schüler sich als wichtige Akteure erleben können für die Entwicklung ihrer Lebensumwelt; und es ist das Gefühl, mit dem eigenen Leben von der Schule allein gelassen zu sein.

Zurück zu dem couragierten Bürger in Waren: Ihm ist zu wünschen, daß der Staat einmal nicht bloß einerseits juristisch und andererseits mit politischen Sonntagsreden auf ein zentrales gesellschaftliches Problem reagiert. Ich würde ihm glatt ein Verdienstkreuz umhängen dafür, daß er einen wichtigen Aspekt eines großen Problems durch sein Handeln öffentlich gemacht hat.
Bild: Ivan Montero / fotolia

shift.

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