Dienstag, 20. Januar 2009

Mein Amtsantritt Obamas

Heute ist ein historischer Jubel-, Pop- und Partytag – und das nicht nur in den USA, sondern weltweit. Auch bei mir.

Ja, ja, ich weiß schon, dass der neue Präsident der noch stärksten Macht der Welt nicht "der liebe Gott" ist, der alles zum Guten wendet, sondern auch bloß ein Mensch mit Grenzen und darum in seiner Präsidentschaft eingebunden in die Strukturen des amerikanischen Politiksystems – die auch nur eine der kulturhistorischen Begrenzungen darstellen, denen auch ein US-Präsident Obama unterliegt. Und wenn ich bisher standhaft gegen allerlei Vorstellungen geblieben bin, alles derzeitige Übel der Welt "DEN Amerikanern" (mit ihrem Bush) anzulasten, so müssen mich die gleichen Gründe nun ebenso davon abhalten, von "DEN Amerikanern" (mit ihrem Obama) die Überwindung desselben zu erwarten. Was von seiner Amtsführung an wirklichem Wandel erwartet werden kann und was nicht, darüber sind anderswo kluge Einschätzungen zu lesen (und zu erwarten ist, dass sie sich schnell vermehren). Beispielsweise bei Gareth Porter in seinem Beitrag Der Rückzug vom Rückzug in Le Monde diplomatique bezüglich der Möglichkeiten Obamas, den Irakkrieg zu beenden. Oder in Kevin K. Kumashiros Kommentar Wrong Choice for Secretary of Education in der Education Week bezüglich der Hoffnungen, die man sich auf einen Wandel in der amerikanischen Bildungspolitik machen darf (danke Georg Lind für diesen Hinweis im Bildungsinfo!). Oder auch der skeptische Realismus in Norman Birnbaums Gruß an den Präsidenten in der gestrigen taz.

Und trotzdem: Ich bin begeistert. Nämlich von der Lektüre des kleinen Buches Jeffersons Erben. Wie die digitalen Medien die Politik verändern von Tobias Moorstedt. (Danke Corredor für das Buch!)

Moorstedt untersucht den Internet-Wahlkampf Barack Obamas und belegt mit einer Fülle von Beispielen, wie sich die alte repräsentative Demokratie zu einer radikalen Partizipationsdemokratie hin verändert - oder zumindest: verändern KANN. Wenigstens sind lebendige Anzeichen und handfeste Ergebnisse davon zum ersten Mal im Präsidentenwahlkampf zu sehen: Mit Hilfe der social software gelingt es, den Beiträgen der "normalen" Menschen Bedeutung zu verschaffen. Nicht nur, dass für Obama mehr Vorwahlkampfgelder als bei seinen Gegnern zusammen kamen, obwohl der größte Teil der Einzelspenden nicht mehr als 25 Dollar betrug. Es sind offenbar andere, die spenden, von diesen jedoch viele: Allein bis Juli 2008 gewann Obama über 1,5 Millionen einzelne Spender, während Clintons Geldquelle schon beinahe versiegte, weil sie "sich zu sehr auf das Netzwerk ihrer reichen Anhänger verlassen hatte" (57). Barack Obama, so der Befund Moorstedts, gewinnt die Vorwahlen und die Präsidentenwahl, weil sein Motto "We can" nicht nur das Versprechen einer politischen Teilhabe in der Zukunft darstellt, sondern weil auch schon der Wahlkampf selbst eine gemeinsame und geteilte Aufgabe derer ist, die diese Teilhabe einfordern und für diese Forderung zu mobilisieren sind. Möglich gemacht haben es die Neuen Medien – wirklich gemacht haben es die vielen Menschen. Spannend ist zu lesen, wie der long tail, bekannt aus dem Kommerzbereich des Internets, sich zum ersten Mal hoch wirksam die Politik erobert: Die amerikanischen Instrumente der eDemocracy wie MoveOn.org mit 4 Mio Mitgliedern – ein digitales Medium zur Organisierung von politischen Kampagnen – und OffTheBus – die Plattform für citizen journalism der Huffington-Post - machten es möglich, dass nicht nur massenhaft Geld eingesammelt wurde und massenhaft selbstorganisierte Unterstützungspartys stattfanden (diese v.a. über mybarackobama.com ), sondern auch politische Themen wie der Rückzug aus dem Irak und die Gesundheitsreform eine wichtige Rolle bei der Mobilisierung gewinnen konnten.

Citizen journalism hat mich besonders begeistert. Die bei uns vorherrschende Ansicht, Massenjournalismus in den social media untergrabe die Qualität und Seriosität journalistischer Produkte und entbehre der Tiefe des in den klassischen Medien sorgfältig recherchierten investigativen Reports, muss in Frage gestellt werden angesichts der Erfahrungen mit OffTheBus: Nicht nur, dass die Amateurjournalisten auf der Plattform von versierten Journalisten redigiert und betreut werden – und dabei - learning by doing - möglicherweise sogar selbst zu Professionellen werden. Nach dem Prinzip des "distributed journalism" arbeitend, waren sie in einer investigativen Angelegenheit dem klassischen Ein-Mann-Reporter und dem auf wenige Personen begrenzten distributed journalism eines klassischen Mediums sogar weit überlegen. Moorstedt berichtet über den Erfolg und den Einfluss von 60 Bürgerjournalisten bei OffTheBus, die in einer organisierten Aktion 2500 Seiten Material ausgewertet hatten, um dem Kandidaten Mitt Romney nachzuweisen, dass er "Prediger und christliche Journalisten auf der Gehaltsliste hatte, die sich im Gegenzug positiv über ihn äußerten." (137)

Eine Rezension von Jeffersons Erben in politik digital endet mit dem Satz:
"Hinterlegt [?] mit einer gehörigen Portion analytischen [sic] Schärfe wird dieser Titel zum "must have!" für jeden Anhänger des neuen Mediums." Ich will mal nicht so kleinkrämerisch mit der grammatischen Korrektheit und der Bedeutung von Wörtern sein, sondern inhaltlich zustimmen. Andererseits muss ich widersprechen, denn warum sollen nur diejenigen, die Anhänger des neuen Mediums sind, erfahren, wofür das neue Medium gut ist? Nein, für alle, die an den politischen Entscheidungen ihrer Gesellschaft teilhaben wollen, ist es ein "must have", und natürlich gerade auch für die Medienskeptiker (auch für diejenigen von Politik digital!). Für eine "Einmischung in die eigenen Angelegenheiten", wie Max Frisch Politik definiert, werden die neuen sozialen Medien jedenfalls immer bedeutsamer.
Bild: Ivan Montero / fotolia

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