Universalistische vs. partikularistische Moral
Pogrome unter Nachbarn heißt der Kommentar von Dominic Johnson in der gestrigen Taz, der manchen guten Hinweis zum Verständnis der aktuellen Pogrome sowohl in Südafrika als auch in Italien enthält. Fremdenfeindliche Ausschreitungen gibt es überall auf der Welt – erinnert sei auch an Rostock-Lichtenhagen und Mölln - und sie müssen nicht rassistisch und auch nicht "ethnisch" oder religiös begründet sein. "Die Anderen" müssen dafür nur als "Andere" definiert, identifizierbar gemacht und dann als "Unser Unglück" markiert werden.
"Was ist gegen diese Herrschaft der Xenophobie zu tun?", fragt Johnson. "Gebrochen werden muss der politische Konsens, wonach die Anwesenheit von "Fremden" an sich ein Problem ist, für das eine Lösung gefunden werden muss. Im Gegenteil: Das Recht auf Freizügigkeit ist die Lösung für ein Problem - es ist ein Mittel gegen soziale und kulturelle Abschottung, und seine Respektierung ist ohnehin ein fundamentales Grundrecht eines jeden Menschen. Doch dieser einfache Gedanke scheint die Politik in vielen Ländern dieser Welt derzeit zu überfordern."
Zu kurz! Der Hinweis darauf, daß die Anwesenheit von Fremden "an sich" nicht das Problem ist, ist richtig. Einen generellen politischen Konsens darüber, daß es ein "Fremden"-Problem zu lösen gäbe, den gibt es jedoch so einfach nicht mehr. Nicht zuletzt ist Roland Kochs schlechtes Wahlergebnis bei den letzten Landtagswahlen ein Zeichen dafür gewesen, daß hier jedenfalls ein solcher politischer Konsens nicht mehr so leicht herzustellen ist. Es gibt jedoch andererseits auch noch keinen generellen gesellschaftlichen Konsens des Gegenteils. Auch handelt es sich nicht bloß um eine Frage der Politik. Es ist ein gesamtgesellschaftliches und ein weltgesellschaftliches Problem, das nicht allein auf der regionalen oder lokalen Ebene und mit politischen Mitteln zu lösen ist – indem etwa die Freizügigkeit politisch abgesichert wäre.
Worin besteht aber das Problem, wenn es kein "Fremden"- Problem ist? Es ist ein Problem der Weltanschauung und der Moral. Denn natürlich ist weder die Abwesenheit, noch die Anwesenheit von "Fremden" die Lösung des Xenophobie-Problems. Die Weltvernetzung in der Epoche der Globalisierung bietet jedoch die ständige Präsenz aller und macht Abschottung immer weniger möglich. Und so bietet sie einerseits die Möglichkeit und erfordert aber auch andererseits mit Notwendigkeit die weltweite Ausbreitung eines gesellschaftlichen Konsenses, der eine universalistische Moral im Gefolge eines universalistischen Welt- und Menschenbildes anstatt der bisher vorherrschenden partikularistischen Weltbilder und Moralen etabliert.
Nun sind veränderte Weltbilder, Menschenbilder, Moral nicht etwas, was sich aus sich selbst heraus entwickelt und verbreitet. Und auch kein "einfacher Gedanke", den "die Politik" nur begriffen haben und dann umsetzen müßte. Nicht die Ideen verändern die Welt, sondern umgekehrt: Die Welt verändert sich und mit ihr die Vorstellung von der Welt. Die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien haben die Welt zu Einer Welt gemacht. Eine Anschauung von der Welt und vom Menschen wird also möglich, die im konkreten Einzelnen auch immer die eigene Gattung sieht, dem man darum auch nicht den Schädel einschlagen oder das Haus über dem Kopf anzünden kann - wie "anders" er sich auch immer darstellt - denn es würde bedeuten, sich selbst zu zerstören. Gleichzeitig gilt aber auch: Nicht die Welt macht den Menschen, sondern der Mensch die Welt und darüber sich selbst. Es geht also nicht von selbst, sondern muß gemacht werden. Aber es ist möglich. Das ist die eine gute Botschaft. Und es ist notwendig wie nie zuvor. Das ist die andere gute Botschaft, denn je notwendiger, desto eher wird es gemacht. Aber kein Grund zu überschäumendem Optimismus: "Es ist" - immer noch - "das Einfache, das schwer zu machen ist."
"Was ist gegen diese Herrschaft der Xenophobie zu tun?", fragt Johnson. "Gebrochen werden muss der politische Konsens, wonach die Anwesenheit von "Fremden" an sich ein Problem ist, für das eine Lösung gefunden werden muss. Im Gegenteil: Das Recht auf Freizügigkeit ist die Lösung für ein Problem - es ist ein Mittel gegen soziale und kulturelle Abschottung, und seine Respektierung ist ohnehin ein fundamentales Grundrecht eines jeden Menschen. Doch dieser einfache Gedanke scheint die Politik in vielen Ländern dieser Welt derzeit zu überfordern."
Zu kurz! Der Hinweis darauf, daß die Anwesenheit von Fremden "an sich" nicht das Problem ist, ist richtig. Einen generellen politischen Konsens darüber, daß es ein "Fremden"-Problem zu lösen gäbe, den gibt es jedoch so einfach nicht mehr. Nicht zuletzt ist Roland Kochs schlechtes Wahlergebnis bei den letzten Landtagswahlen ein Zeichen dafür gewesen, daß hier jedenfalls ein solcher politischer Konsens nicht mehr so leicht herzustellen ist. Es gibt jedoch andererseits auch noch keinen generellen gesellschaftlichen Konsens des Gegenteils. Auch handelt es sich nicht bloß um eine Frage der Politik. Es ist ein gesamtgesellschaftliches und ein weltgesellschaftliches Problem, das nicht allein auf der regionalen oder lokalen Ebene und mit politischen Mitteln zu lösen ist – indem etwa die Freizügigkeit politisch abgesichert wäre.
Worin besteht aber das Problem, wenn es kein "Fremden"- Problem ist? Es ist ein Problem der Weltanschauung und der Moral. Denn natürlich ist weder die Abwesenheit, noch die Anwesenheit von "Fremden" die Lösung des Xenophobie-Problems. Die Weltvernetzung in der Epoche der Globalisierung bietet jedoch die ständige Präsenz aller und macht Abschottung immer weniger möglich. Und so bietet sie einerseits die Möglichkeit und erfordert aber auch andererseits mit Notwendigkeit die weltweite Ausbreitung eines gesellschaftlichen Konsenses, der eine universalistische Moral im Gefolge eines universalistischen Welt- und Menschenbildes anstatt der bisher vorherrschenden partikularistischen Weltbilder und Moralen etabliert.
Nun sind veränderte Weltbilder, Menschenbilder, Moral nicht etwas, was sich aus sich selbst heraus entwickelt und verbreitet. Und auch kein "einfacher Gedanke", den "die Politik" nur begriffen haben und dann umsetzen müßte. Nicht die Ideen verändern die Welt, sondern umgekehrt: Die Welt verändert sich und mit ihr die Vorstellung von der Welt. Die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien haben die Welt zu Einer Welt gemacht. Eine Anschauung von der Welt und vom Menschen wird also möglich, die im konkreten Einzelnen auch immer die eigene Gattung sieht, dem man darum auch nicht den Schädel einschlagen oder das Haus über dem Kopf anzünden kann - wie "anders" er sich auch immer darstellt - denn es würde bedeuten, sich selbst zu zerstören. Gleichzeitig gilt aber auch: Nicht die Welt macht den Menschen, sondern der Mensch die Welt und darüber sich selbst. Es geht also nicht von selbst, sondern muß gemacht werden. Aber es ist möglich. Das ist die eine gute Botschaft. Und es ist notwendig wie nie zuvor. Das ist die andere gute Botschaft, denn je notwendiger, desto eher wird es gemacht. Aber kein Grund zu überschäumendem Optimismus: "Es ist" - immer noch - "das Einfache, das schwer zu machen ist."
Lisa Rosa - 22. Mai, 11:38
Schwer zu machen
Welzer hat auf erschütternde Weise dargelegt, wie sehr historisch konkret die Folgen eines moralischen Partikularismus ausfallen konnten und nachgewiesen, dass unter bestimmten Bedingungen schon die Bereitschaft, die Ausgrenzung des Anderen von der menschlichen Gemeinschaft hinzunehmen, normale Menschen zu Mördern werden ließ.
Daß umgekehrt selbst Menschen, die sozial ausgegrenzt und diskriminiert wurden, der Versuchung widerstehen konnten, im Partikularismus eine Zuflucht zu suchen, sollten wir uns gerade in der Konfrontation mit den dominierenden Positionen im Nahostkonflikt immer wieder ins Bewusstsein rufen.
Dafür zwei Beispiele.
Der damals berühmte jüdische Violonist Bronislav Huberman begründete seine Ablehnung der Einladung Furtwänglers zu einem Konzert mit den Berliner Philharmonikern kurz nach der nationalsozialistischen Machtergreifung mit den Worten:
"In Wahrheit geht es nicht um Violinkonzerte, auch nicht um Juden, es handelt sich um die elementarsten Voraussetzungen unserer europäischen Kultur: die Freiheit der Persönlichkeit und ihre vorbehaltlose, von Kasten- und Rassenfesseln befreite Selbstverantwortlichkeit."
Der jüdische Psychologe Lev Semenovic Vygotskij, der in seiner Vaterstadt das Pogrom von 1903 erlebte und später von den einschneidenden zaristischen Diskriminierungen betroffen war, schrieb 1916:
„Die nationalen Formen der Entwicklungen beschenken uns mit einer unbestreitbaren und mächtigen historischen Tatsache. … Es ist jedoch entscheidend, daß wir einen fundamentalen Irrtum vermeiden. … Ein exzessiver Kult des Völkischen, der das nationale Element im menschlichen Verhalten verstärkt, kultiviert den Nationalismus anstatt das Nationalbewusstsein. Eine nationale Färbung des menschlichen Verhaltens kann man, wie jede kulturelle Errungenschaft, als einen hohen menschlichen Wert betrachten, dies aber nur dann, wenn sie nicht zum Käfig wird, der das Individuum einengt und wie die Schnecke in ihrem Haus von allen äußeren Einflüssen abtrennt. ... Treu zu seinem Volk stehen, heißt, seiner eigenen Individualität gegenüber treu zu sein, und das ist die einzig normale und anständige Weise, sich zu verhalten.“
Bedingungen der Moral
Ja, mein Beitrag ist sehr allgemein, das liegt auch daran, daß ich mich eigentlich bemüht hatte, darzulegen, daß die Moralfrage eben keine normativ lösbare ist - wie es jedoch der taz-Kommentar nahelegt. (Ich dachte, das würde in meinem letzten Absatz deutlich). Die Durchsetzung einer universalistischen Moral als allgemeine Mainstream-Moral ist m.E. erst durch die Globalisierung möglich geworden, natürlich noch nicht Wirklichkeit! In der Aufklärung ist die universalistische Moral behauptet, als Idee erschienen, aber überhaupt noch nicht historisch wirklich geworden - die Aufklärer hatten zunächst überhaupt keine Probleme mit der Sklavenhaltung in den Kolonien.
Deinen Hinweis auf Welzer finde ich wichtig, denn er hat die Rahmenbedingungen herausgearbeitet, die daran beteiligt sind, wenn Menschen zu Massenmördern werden. Eine partikularistische Moral ist die wichtigste dabei.
Deine Zitate zeigen, daß es für Einzelne aber immer auch möglich ist, trotz einer allgemeinen gesellschaftlich verbreiteten und verordneten partikularistischen Moral, eine universalistische daneben zu entwickeln und dagegen aufrecht zu erhalten. Es ist kein determinierender Automatismus, der dazu zwingt, der Mehrheitsmoral zu folgen - nicht einmal unter diktatorischen Bedingungen. (Nur so sind ja auch die Widerstandshandlungen im Nationalsozialismus erklärbar.) Und wichtig wäre jetzt, herauszufinden, wie es kommt, woher es kommt, wenn einzelne Individuen entgegen dem Mainstream das universalistische Welt- und Menschenbild haben können und sich in ihrem Handeln danach richten. Woher also haben sie das? Und kann man das für alle bereitstellen?