Im Unterricht über Nationalsozialismus und Holocaust wird zuweilen mit "Selbstversuchen" experimentiert. Du kennst vielleicht den Film "Die Welle"? Es gibt Lehrer, die meinen, sie müssten die Schüler ERLEBEN lassen, wie man sich als "Opfer" fühlt, oder wie schnell aus einem selbst ein "Täter" werden kann. Das "Spiel", das der Lehrer dazu anbietet/anordnet, teilt die Klasse in "die einen" und "die anderen" - meinetwegen in die mit Brille und die ohne Brille oder in blonde und dunkelhaarige - wie auch immer, auf jeden Fall ein äußerliches nichtssagendes Merkmal. Und die einen sind die höherwertigen, die anderen die minderwertigen Menschen. Und dann werden die Schüler aufgefordert, sich dementsprechend zu verhalten, also die "Höherwertigen" diskriminieren die Minderwertigen, schikanieren und demütigen sie, usw. Bis dann der Lehrer - der über allem steht (obwohl er dieses fürchterliche Psychospiel angeordnet hat!!) den Tätern dann klar macht, dass sie zu Tätern geworden sind. Ich halte das ganze Rollenspiel für einen ausgemachten Sadismus gegenüber der gesamten Schülergruppe. Zu lernen gibt es da nichts, außer, dass Lehrer mit solchen Methoden zu Tätern an ihren Schülern werden. Darüber hatten wir im schulpädagogischen Panel auf der Konferenz auch diskutiert. Beliebt sind solche Methoden v.a. in den USA - ich kenne jedoch auch hier Lehrer, die gerne mit solchen Spielchen (in denen eigentlich der Lehrer Macht gegenüber den Schülern ausübt und ihnen zeigt, wie "böse" sie sind) experimentieren und z.B. versuchen, das Milgram-Experiment mit den eigenen Schülern nachzuspielen. Das ganze ist deswegen so erschreckend, weil die Schüler dem Lehrer im Schulsystem als Autoritätspersonen ja ausgeliefert (im schlechten Falle) bzw. emotional zugetan (im "guten" Falle) sind. In jedem Falle ist es ein Mißbrauch der pädagogischen Beziehung. Selbst, wenn Schüler diese Rollenspiele ablehnen könnten, gerieten sie damit ja in Widerspruch zum Lehrer, wären die "Spielverderber" in den Augen ihrer Klassenkameraden und bekämen auf jeden Fall heftige Loyalitätskonflikte mit ihrer Rolle im Schulsystem, das als Rahmen die Rollen im Rollenspiel überformt. Überwältigung findet hier insofern statt, als die Schüler sich emotional als Täter erleben müssen - vom beschissenen Erleben der "Opfer"-Schüler mal ganz abgesehen - und die Spielregeln nicht bestimmen. Einordnen würde ich sowas als Menschenexperimente. Es gibt genügend Berichte darüber, wie solche Experimente "aus dem Ruder gelaufen" sind und plötzlich Ernstcharakter bekamen. Ein Lehrer aus England sagte dazu zurecht: Das ganze ist ja sowieso nicht nötig. Die Schüler wissen nämlich aus ihren Mobbingerfahrungen sehr gut, was es heißt, Täter, und was es heißt, Opfer zu sein. Man muss sie nur ihre eigenen Geschichten erzählen lassen.
Rollenspiele
Rollenspiele