Warum bist Du nicht wirklich konsequent und verzichtest ganz auf den Dualismus? Schließlich ist jede Theorie immer die Theorie einer Praxis. Und jede Praxis beruht auf Verallgemeinerung, ist anders überhaupt nicht möglich. Hat nicht Marx betont, dass die menschlichen Sinne die ersten Theoretiker sind? Die radikalen Konstruktivisten sagen auf ihre Weise nichts anderes. Für Vygotskij und Leont'ev (die sich dabei noch auf Lenin berufen) ist jedes Wort eine Verallgemeinerung! M.a.W., die empiristische
Spaltung des Zusammenhanges und dann auch noch Entgegensetzung von Theorie
und Praxis ist einfach zu absurd, als dass Du ihren untrennbaren Zusammenhang - und dann auch noch normativ - vertreten solltest.
Wohl aber ist die Differenz von Theorie und Praxis ein wichtiges und gewichtiges methodologisches Problem. Für dessen Lösung ist der Dualismus aber ebenfalls unbrauchbar. Nicht ohne Grund verzichtet die Systemtheorie heute auf die zweiwertige Logik und besteht auf dem "dritten Wert": der Vermittlung (wie ja auch schon vorher Vygotskij und Leont'ev). Das für meine Begriffe produktivste Modell schlägt Judin vor (mein Buch, S. 345ff). Er konzentriert sich nicht auf die Theorie als Produkt, sondern auf die Struktur der wissenschaftlichen Tätigkeit, die die Theorie hervorbringt und unterscheidet zwischen "theoretischer Begründung", "modellierender Vorstellung" und "Prozeduren" der wissenschaftlichen Tätigkeit. Der Gewinn besteht darin, dass die modellierenden Vorstellungen, ohne die weder die theoretischen Begründungen in konkrete Verfahren überführt werden, noch die Verfahren in einen stringenten theoretischen Zusammenhang gebracht werden können, die methodologische Schnittstelle für den persönlichen Sinn der Theorie für den handelnden Menschen darstellen.
Jeder benutzt SEINE "modellierenden Vorstellungen", wie begründet auch immer und wie methodisch ausgearbeitet auch immer.
Zum höchst differenzierten Verständnis des Praxisbegriffs gibt es übrigens einen hervorragenden Lexikonartikel von Volker Schürmannn. Leider habe ich ihn in Berlin. Aber vielleicht schickt er Dir einen Sonderdruck, wenn Du ihn danach fragst.
tombal (Gast) - 7. Jul, 16:13
Theorie-Praxis
@corredor: Du nennst da interessante Literaturhinweise, denen ich gerne nachgehen würde, weil ich gerade auch mit der "empiristischen Spaltung des Zusammenhangs" im Rahmen der Lehrerweiterbildung zu tun habe und dabei versuche, auf diese dualistische Terminologie zu verzichten, zwar nicht aus erkenntnistheorietischen Gründen - da müsste ich noch über die Bücher -, sondern aufgrund einer handlungstheoretischen Konzeption beruflicher Kompetenz.
Danke für die bibliografischen Angaben!
corredor - 14. Jul, 18:53
Literatur
Sorry Tombal, ich war eine Weile nicht online.
Hier die Angaben:
E. G. Judin, Systemansatz und Tätigkeitsprinzip. Methodologische Probleme der modernen Wissenschaft. Berlin: Lehmanns 2009
Volker Schürmann, Praxis. In: Behinderung und Anerkennung. Hrsg. von M. Dederich und Wl Jantzen. Stuttgart: Kohlhammer 2009, 199-203
Spaltung des Zusammenhanges und dann auch noch Entgegensetzung von Theorie
und Praxis ist einfach zu absurd, als dass Du ihren untrennbaren Zusammenhang - und dann auch noch normativ - vertreten solltest.
Wohl aber ist die Differenz von Theorie und Praxis ein wichtiges und gewichtiges methodologisches Problem. Für dessen Lösung ist der Dualismus aber ebenfalls unbrauchbar. Nicht ohne Grund verzichtet die Systemtheorie heute auf die zweiwertige Logik und besteht auf dem "dritten Wert": der Vermittlung (wie ja auch schon vorher Vygotskij und Leont'ev). Das für meine Begriffe produktivste Modell schlägt Judin vor (mein Buch, S. 345ff). Er konzentriert sich nicht auf die Theorie als Produkt, sondern auf die Struktur der wissenschaftlichen Tätigkeit, die die Theorie hervorbringt und unterscheidet zwischen "theoretischer Begründung", "modellierender Vorstellung" und "Prozeduren" der wissenschaftlichen Tätigkeit. Der Gewinn besteht darin, dass die modellierenden Vorstellungen, ohne die weder die theoretischen Begründungen in konkrete Verfahren überführt werden, noch die Verfahren in einen stringenten theoretischen Zusammenhang gebracht werden können, die methodologische Schnittstelle für den persönlichen Sinn der Theorie für den handelnden Menschen darstellen.
Jeder benutzt SEINE "modellierenden Vorstellungen", wie begründet auch immer und wie methodisch ausgearbeitet auch immer.
Zum höchst differenzierten Verständnis des Praxisbegriffs gibt es übrigens einen hervorragenden Lexikonartikel von Volker Schürmannn. Leider habe ich ihn in Berlin. Aber vielleicht schickt er Dir einen Sonderdruck, wenn Du ihn danach fragst.
Theorie-Praxis
Danke für die bibliografischen Angaben!
Literatur
Hier die Angaben:
E. G. Judin, Systemansatz und Tätigkeitsprinzip. Methodologische Probleme der modernen Wissenschaft. Berlin: Lehmanns 2009
Volker Schürmann, Praxis. In: Behinderung und Anerkennung. Hrsg. von M. Dederich und Wl Jantzen. Stuttgart: Kohlhammer 2009, 199-203