Normal
Was ist normal? Daß Kinder Müllhalden durchwühlen, um für ihre Familien das Essen zu beschaffen? Daß Kinder vormittags zur Schule gehen - oder auch schwänzen - und nachmittags vor der Glotze oder an den Egoshootern sitzen? Jaja. Wir wissen schon: Normal ist historisch! Aber wissen das auch die Bildungspolitiker?
Wenn ich zuwenig oder zu viele Vieren und Fünfen in den Klassenarbeiten meiner Schüler hatte, wurde ich aufgefordert, die Normalverteilung zu beachten, denn ich hatte wohl falsch bewertet. Gemeint ist die Gaußsche Normalverteilungskurve, die aussieht wie der Katzenbuckel im Odenwald, eine Quellkuppe. Kein Problem: hier ein paar Bewertungspunkte weg, dort ein paar dazu - und schon war das breite Mittelfeld des deutschen Dreiernormschülers wieder im Lot. Gottseidank! Verloren ging dabei das Bewußtsein darüber, was getan worden war: Ich hatte nicht meine Bewertung der Realität angepaßt, ich hatte die Realität unter die Gaußsche Kurve gebracht, um das geliebte Mittelmaß herzustellen. Nicht umsonst ist in Deutschland das bewährte DIN erfunden worden. "Das ist Norm" heißt diese Abkürzung, und die Normierung war ein wichtiges Instrument der Industrialisierung. Da war Deutschland doch ganz groß. Was beschweren wir uns also wegen der PISA-Ergebnisse? Da sind wir doch im internationalen Mittelmaß! Also alles normal - na gut, die Bayern 3+, die Hamburger 3-. Aber soviel Unterschied muß sein. Schließlich wollen wir keine Gleichmacherei! Da könnten wir ja gleich die neue Linke - und wo kämen wir denn da hin!
Schade nur, daß es uns so wurmt, wenn in Finnland normal ist, daß 71% eines jeden Jahrgangs studieren, während es bei uns normal ist, daß es bloß 37% sind. Macht ja nichts. Wir können ja die Intelligenz, die uns fehlt, aus den intelligenteren Ländern importieren. Schade nur, daß wir nicht wissen, wohin mit all den arbeitslosen Industriearbeitern, die wir an unseren Normal-Haupt-Real-Gesamtschulen so richtig unterrichtet und bewertet haben. Die Finnen wollen sie jedenfalls nicht nehmen, hab ich mir sagen lassen. Die machen wohl nicht mehr so viel in Industrie. Die machen jetzt mehr in Wissen.
Wenn ich zuwenig oder zu viele Vieren und Fünfen in den Klassenarbeiten meiner Schüler hatte, wurde ich aufgefordert, die Normalverteilung zu beachten, denn ich hatte wohl falsch bewertet. Gemeint ist die Gaußsche Normalverteilungskurve, die aussieht wie der Katzenbuckel im Odenwald, eine Quellkuppe. Kein Problem: hier ein paar Bewertungspunkte weg, dort ein paar dazu - und schon war das breite Mittelfeld des deutschen Dreiernormschülers wieder im Lot. Gottseidank! Verloren ging dabei das Bewußtsein darüber, was getan worden war: Ich hatte nicht meine Bewertung der Realität angepaßt, ich hatte die Realität unter die Gaußsche Kurve gebracht, um das geliebte Mittelmaß herzustellen. Nicht umsonst ist in Deutschland das bewährte DIN erfunden worden. "Das ist Norm" heißt diese Abkürzung, und die Normierung war ein wichtiges Instrument der Industrialisierung. Da war Deutschland doch ganz groß. Was beschweren wir uns also wegen der PISA-Ergebnisse? Da sind wir doch im internationalen Mittelmaß! Also alles normal - na gut, die Bayern 3+, die Hamburger 3-. Aber soviel Unterschied muß sein. Schließlich wollen wir keine Gleichmacherei! Da könnten wir ja gleich die neue Linke - und wo kämen wir denn da hin!
Schade nur, daß es uns so wurmt, wenn in Finnland normal ist, daß 71% eines jeden Jahrgangs studieren, während es bei uns normal ist, daß es bloß 37% sind. Macht ja nichts. Wir können ja die Intelligenz, die uns fehlt, aus den intelligenteren Ländern importieren. Schade nur, daß wir nicht wissen, wohin mit all den arbeitslosen Industriearbeitern, die wir an unseren Normal-Haupt-Real-Gesamtschulen so richtig unterrichtet und bewertet haben. Die Finnen wollen sie jedenfalls nicht nehmen, hab ich mir sagen lassen. Die machen wohl nicht mehr so viel in Industrie. Die machen jetzt mehr in Wissen.
Lisa Rosa - 7. Aug, 15:48