michael-kk- - 30. Aug, 12:24

Also so wurde das nicht diskutiert...

Erst mal zu Corridor. Die Feststellung, dass jemand eine Diskussion angestossen hat, ist zu unterscheiden, von der Feststellung dass der Gedanke bzw. politische Initiativen dazu älter sind. KRAETZAE gibt es bereits seit 1992 und politische Initiativen zum Thema Kinderwahlrecht gab es innerhalb Deutschlands bereits in den 70ern und vermehrt in den frühen 80ern. Da will ich mir den Vorwurf uninformiert zu sein, kaum gefallen lassen.

Dann zu LisaRosa. Du hast Recht. Der Vorschlag des Stellvertreterwahlrechts sollte nicht Kinderwahlrecht genannt werden. Das ist ein semantisches Problem. "Stellvertretend ausgeübtes Kinderwahlrecht" klingt aber komisch. Da der Kirchhof-Vorschlag nunmal das Stellvertreterwahlrecht einbrachte, wurde auch ebendieses diskutiert. Da ist die Frage, wer für ein Kind wählen soll durchaus zu erwägen. Da darf sich gelassen Eurofighter anschauen und feststellen: Es müssen Mütter sein, um sich an unverantworlichen, erziehungsunwilligen Vätern zu rächen. So weit ist es nämlich schon. Stellvertreterwahlrecht, dass kann man bei uns nachlesen, halte ich für einen denkbar unsinnige Idee.

Das dank eines Diskussionsteilnehmers nicht besonders demokratietaugliche Gedanken diskutiert wurden, sei mal dahingestellt. Das ist eben Schoggo-TVs Meinung. Die darf er haben. Ich möchte darauf hinweisen, dass es nicht meiner Haltung oder der des Küchenkabinetts entspricht, wie das hier anklingt...

Und zum Thema: Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie Angela Merkel im Tele-Tubbie-Kostüm durch die Kindersendungen hüpft und "ohoh" sagt, um auch die Stimmen der ganz Kleinen zu kriegen. Der "Wahlrecht von Geburt an"-Vorschlag ist bei uns kaum diskutitiert worden, weil er dem Kirchhof-Anstoss nicht entsprach.

Das Wesentliche dabei ist aber, dass Klugheit/Weisheit als Kriterium fürs Wahlrecht (sicherlich völlig unsinnig) von politischer Mündigkeit zu scheiden ist. Zur Feststellung politischer Mündigkeit gibt es nur ein sinnvolles Verfahren, nämlich eine Altersgrenze. Die ist letztlich immer willkürlich, auch wenn sie im Falle der Volljährigkeit besser begründbar ist als in allen anderen Fällen. Weil der Bürger in diesem Moment nicht nur politisch sondern auch rechtlich vollständige Mündigkeit erlangt. Mit erheblichen Konsequenzen für seine Geschäftsfähigkeit, Straffähigkeit etc.

Die Kriterien Klugheit und Mündigkeit haben daher nichts miteinander zu tun. Mündigkeit impliziert einen Anspruch des Staates dem Bürger gegenüber, ob dieser dem Anspruch gerecht wird ist eine andere Frage. Es geht bei der Diskussion - wie auch im Küchenkabinett klar geworden sein sollte - nicht um die Frage ob jemand "zu dumm" zum wählen ist.

Die Frage ob politische Mündigkeit ein Kriterium ist, dass angelegt werden darf/sollte ist eine andere Frage. Und da kann dann gut und gerne anfangen, über Demokratieverständnis zu diskutieren.

Die Befürworter der These, dass KEIN Mündigkeitskriterium angelegt werden darf, argumentieren, dass das Wahlrecht ein demokratisches Menschrecht sei. Es nicht zu gewähren sei daher zunächst eine Menschrechts- bzw. Grundrechtsverletzung an den Kindern. Überdies hinaus würden demokratische Gleichtsgrundsätze verletzt.

Die Annahmen sind demokratietheoretisch aber nicht haltbar. Erstens ist das Recht zu Wählen kein Menschen- oder Grundrecht, sondern ein politisches Recht. Als solches muss es konzepiert werden. Die Erlangung eines politischen Rechts kann in einer Demokratie an all solche Bestimmungen geknüpft sein, die durch gleiches Verfahren geregelt sind. Eine Altersgrenze stellt ein gleiches Verfahren dar. Da jeder Bürger nach Erlangung seines 18. Lebensjahrs wählen darf, wird der Gleichheitsgrundsatz, der im Wahlvokabular die Allgemeinheit der Wahl wäre, in keinsten Weise beeinträchtigt. Eine Altersgrenze ist daher kategorial zu scheiden von Ausschlußkriterien die auf Geschlecht oder Ethnie beruhen.

Nachdem geklärt ist, dass die Feststellung politischer Mündigkeit nach Alter demokratietheoretisch unbenklich ist, bleibt zu klären ob sie sinnhaft ist. Befürworter der These, dass es keine Bestimmungen zur Mündigkeit geben sollte, argumentieren im wesentlichen mit dem "Erwachsene können auch dumm und politisch uninformiert sein"-Argument, dass oben bereits ausgeschlossen wurde. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Mündigkeit ein Intelligenzkriterium ist. Es ist ein Verantwortlichkeitskriterium.

Daher wird in der radikalen Fassung des Kinderwahlrechts-Arguments auch argumentiert, dass der Gedanke Kinder hätten nicht die gleichen Pflichten wie Erwachsene und daher auch nicht die gleichen Rechte, deshalb falsch sei, weil Kindern tatsächlich die gleichen Rechte und Pflichten zustünden.

Diese Argumentation übersieht den Erziehungsgedanken, im wesentlichen aber das Argument, dass Kinder während ihres Heranwachsens ein Schutzraum geboten werden muß. Es würde etwa ihre Geschäftsbefähigung und ihre Aburteilung nach dem Erwachsenen-Strafrecht implitzieren, die Möglichkeit der Eheschließung in jedem Alter etc. Schöne neue Welt, in der wieder vierjährige Mädchen verheiratet werden, Kinder mit acht Jahren so hoch verschuldet sind, dass sie sich davon ein Leben lang nicht mehr erholen oder lebenslang mit Sicherheitsverwahrung in den Knast gehen.

Es scheint mir daher sinnvoll zu sein, Ansprüche der Mündigkeit, die an einen Erwachsenen geknüpft werden, nicht auf Kinder zu übertragen. Dies geschieht zum Schutz des Kindes und nicht zu Nachteil. Jetzt kann man einwenden, dass man Kindern auch das Wahlrecht geben kann, ohne ihren Schutzraum zu verletzen. Dann bleibt immer noch das Argument, dass eine Altersbegrenzung prinzipiell auf Grundlage der Entwicklung kognitiver Fähigkeiten zu rechtfertigen und sinnvoll ist. Auch dieses Argument zielt nicht auf "Dummheit" ab. Es gint einen Unterschied zwischen einem Erwachsenen der seine kognitiven Fähigkeiten hier zur Präferenzbildung nicht nutzt und einem Kind, dass die Fähigkeit nicht besitzt.
Letztlich sprechen viele gute Gründe für eine Aufrechterhaltung einer Altersbegrenzung des Wahlrechts (wie auch immer geartet aus entwicklungspsychologischen Gründen) und eigentlich auch gegen eine Absenkung des Wahlrechtsalters (aus Mündigkeitserwägungen).

Ich bin aber der Auffassung, und da kommt die" Mündigkeitsprüfung" ins Spiel, dass man ein Verfahren etablieren kann, in dem Jugendliche sich für ein früheres Wahlrecht qualifizieren können. So wie es ein Verfahren dafür gibt früher geschäftstauglich zu werden oder zu heiraten. Dies ist aber nicht mit dem Argument gleichzusetzen, der Jugendliche müsse unter Beweis stellen, dass er nicht dumm ist. Es geht darum, dass der Staat demjenigen, der qua Definition sein Wahlrecht NOCH NICHT ausüben darf, eine Chance eröffnet, dass Jugendliche - so sie dies wünschen - ihre hinreichenden kognitiven Fähigkeiten und politische Mündigkeit der Altersbegrenzung zum Trotz unter Beweis stellen können.

Lisa Rosa - 30. Aug, 14:34

Langsam, langsam,

in meinem Beitrag habe ich weder das Küchenkabinett noch speziell Dich, Michael, angreifen wollen. Vielleicht entstand entgegen meiner Absicht dieser Eindruck, weil ich ihn mit meinem Problem, bei Euch im Blog kommentieren zu können, eingeleitet habe. Das war aber nicht so ernst gedacht. Sorry für das Mißverständnis! ;-)
Mein Beitrag richtet sich gegen die gängigen Auffassungen, die in der Diskussion zu Eurem Posting "Kinderwahlrecht" explizit vorgetragen wurden oder implizit enthalten sind. Ich begrüße es sehr, daß Ihr anläßlich des Kirchhof-Vorschlags eine Diskussion über Kinderwahlrecht initiiert habt.

Den Begriff "stellvertretendes Wahlrecht" gibt es tatsächlich. Ich würde nicht auf Präzision und semantische Eindeutigkeit verzichten, bloß weil ein Begriff "komisch klingt", und damit die Bedeutung und das Verständnis der Ästhetik unterordnen. Kein Wunder, daß mich auch der Titel provoziert hat zu meinen Überlegungen darüber, wie Kinder selbstverständlich und unhinterfragt bevormundet werden.

Dein ausführlicher Kommentar hier zeigt, daß es generell in dieser Gesellschaft offenbar völlig abwegig erscheint, Rechtsverständnis, Politikverständnis oder Demoktratietheorie als etwas Historisches zu sehen, also als etwas, das sich verändern kann und muß!
Konsequenterweise bist Du ja in Deinen Ausführungen auch weder auf meine, noch auf corredors historische Analogien und Argumente eingegangen. Du hast Dein Verständnis vom Rechtszustand des Bestehenden und die Meinungen anderer dazu dargelegt. Gut. Kann man das Bestehende nicht infrage stellen?

Über das, was ein "Erziehungsgedanke" ist, sein könnte, bewirkt, welche verschiedenen "Gedanken" und vor allem Taten sich hinter verschiedenen Erziehungsabsichten und -konzepten verbergen, tja ... Darum geht es wohl!

Mündigkeit: Seit politische Rechte nicht mehr an Besitz und soziale Stellung geknüpft werden dürfen, hat sich - da sie trotzdem nicht allen zugestanden werden sollen - dieser Begriff zur Unterscheidung "Rechte haben/keine Rechte haben" etabliert. Es ist ein Begriff, der die Selbstbestimmung betrifft und der suggeriert, sie wahrnehmen zu dürfen, habe ausschließlich etwas mit einer objektiv bestimmten Kompetenz des Individuums zu tun, sie wahrnehmen zu können, etwa eine Funktion natürlicher Reifungsprozesse oder umgekehrt deren Verfall im Alter. Der Erwerb von Kompetenzen ist aber an ihren Gebrauch gebunden.

Du bringst das Schutzbedürfnis von Kindern in Zusammenhang mit Rechten und Verantwortung. Warum? Kann man denn nicht jemandem Schutz gewähren, ohne ihn in Rechten und Selbstbestimmung einzuschränken? Erst durch diese Verknüpfung ergibt sich Bevormundung, Entmündigung, Entmachtung. Die gängigen Vorstellungen von Schutz und Fürsorge camouflieren sie. Aber auch diese Vorstellungen sind historisch.
In der dritten Welt sind Kinder von 12 Jahren in der Lage, ihre Familien zu ernähren, massenhaft. Die Bedingungen, unter denen sie es tun müssen, sind furchtbar. Das ändert aber nichts daran, daß nachgewiesenermaßen Kinder in der Lage sind, nicht nur für sich selbst, sondern auch noch für andere Verantwortung zu übernehmen. Folglich: die Unmündigkeit und die Unselbständigkeit bei uns ist nicht natürlich, sie ist historisch gesellschaftlich, ihre Aufrechterhaltung politisch gewollt. Und politischen Willen muß man pausenlos in Frage stellen dürfen, oder nicht?

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