Schulentwicklung oder Schulkollaps – das sind die Alternativen
"Es klingt wie eine Nachricht aus dem Bürgerkrieg", beginnt der Bericht von zeit-online über die Rütlischule, deren Schulleitung die Verantwortung über die Schule letzte Woche an die Behörde zurückgegeben hatte. Schulehalten kann nur noch mittels Polizeigewalt stattfinden: Lehrer müssen durch die Polizei vor Schülern und Schüler vor sich selbst geschützt werden; andererseits müssen Schulschwänzer gegen ihren Willen von der Polizei zum Schulbesuch verhaftet werden. Schule ist wieder da, wo sie im 19. Jahrhundert begonnen hat: Als Kopie von Kasernen und Fabriken. Während Politiker sich überrascht und erschrocken darüber geben und mit hilflosen oder hektischen adhoc-Maßnähmchen reagieren, wissen Lehrer und Bildungsexperten, die diesen Namen verdienen, nicht erst seit dem ersten Schulkollaps, wohin die jahrzehntelange Verweigerung und das Unvermögen der Bildungspolitiker, die deutsche Schule aus den Strukturen des Industriezeitalters in eine Schule der Informationsgesellschaft weiter zu entwickeln, führt. Erst wenige Wochen liegt die empörte Reaktion unserer sich selbst entmachtenden Bildungsministerin angesichts der Warnungen des UN-Sonderbauftragten Munos Vilalobos zurück.
Dabei sind nicht nur Zusammenbruch und Clash des deutschen Schulsystems längst und vielfältig prognostiziert worden (Erfurt schon vergessen?): Es liegen auch schon seit langem genügend Vorbilder und Instrumente für die überfällige Rekonstruktion des Bildungswesens bereit, die aus dem Desaster des heruntergekommenen selektierenden Systems herausführen würde. Um einmal nicht vom finnischen, schwedischen oder kanadischen Modell zu sprechen – denn so langsam kommt man sich dabei wie eine tibetische Gebetsmühle vor - : Vielversprechende Ansätze gibt es auch in Deutschland selbst. Jeder engagierte Elternvertreter kennt die anschauliche DVD-Dokumentation von Reinhard Kahl – "Treibhäuser der Zukunft". Auch die dort dokumentierten Ansätze sind beileibe keine neuen Erkenntnisse, denn sie setzen nur fort, was schon vor 15 Jahren – zur Zeit des finnischen Reformbeginns – von Kahl in seinen Videodokumentationen "Lob des Fehlers" vorgeführt worden war: Lernen für die Gegenwart und Zukunft muß im Informationszeitalter unter ganz anderen Bedingungen stattfinden: individualisiert, kollektiv, selbstbestimmt, projektförmig forschend und mit dem Computer. Und das nicht nur für die Kinder der gesellschaftlichen Eliten, sondern für alle.
Administrative Schulentwicklungsversuche nach dem beliebten deutschen Top-Down-Implementations-Modell – die Bildungspolitik beschließt, die Behörde "bricht in Maßnahmen herunter" und befiehlt den Lehrern, was sie und wie sie ab jetzt ihre Tätigkeit auszuführen haben – sind beinahe jedes Schuljahr neu auf die Schulen heruntergeregnet. Bewährt hat sich davon kaum etwas, stattdessen hat es Resignation und Verbitterung erzeugt. Die einzige Alternative besteht darin, daß sich die Schulen selbst entwickeln.
Ein Beispiel für einen potenten Ansatz zur Selbstentwicklung – einer Rekonstruktion von Schule durch diejenigen, die in ihr arbeiten - konnte man gestern in Hamburg kennen lernen:
Schüler, Eltern, Lehrer entwickeln ihre Schule:
Aushandlungsgruppe und Schülerfeedback
Max Wolter und Franz Kißig, zwei der vier Gründer der ONO-Systems stellen ihre Erfindung vor
Mehr als 80 Eltern, Lehrer, Schulleiter, Lehrerfortbildner und Schüler aus Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen kamen am 5.4.06 in der Aula des LI zusammen, um sich über Funktionsweise und Erfolge zweier neuer Instrumente zur demokratischen Schulentwicklung zu informieren.
Zwei Schüler der Otto-Nagel-Oberschule (ONO) in Berlin-Biesdorf waren mit ihrem Schulleiter, Lutz Seele, und dem Berliner Schulentwicklungsberater Dr. Marcus Hildebrandt auf Einladung des Referats Gesellschaft aus Berlin angereist, um das Produkt ihrer Schülerfirma 'ONO-Systems' vorzustellen: eine Software zur Selbstevaluation der Schule durch Schülerfeedback. Die Schüler ließen ihr hochleistungsfähiges Instrument, das in schnellster Zeit Hunderte von digitalen "Fragebögen" aufnehmen und in einer Grafik auswerten kann, direkt vom begeisterten Publikum testen. Die beeindruckende Erfindung, die preisverdächtig im Jugend forscht–Wettbewerb sein dürfte, ist das Ergebnis eines demokratischen Schulentwicklungsprozesses durch das Instrument der Aushandlungsgruppe des Otto-Nagel-Gymnasiums.
Die Aushandlungsgruppen, - so erläuterte der Schulentwicklungsberater Hildebrandt - sind paritätisch zusammengesetzte Arbeitsgruppen aller Beteiligten einer Schule: Schüler, Lehrer, Eltern und auch der sonstigen Mitarbeiter einer Schule. Sie beruhen auf freiwilliger Mitarbeit ihrer Teilnehmer, sind nicht mit Gremien zu verwechseln, sondern arbeiten diesen zu, indem sie Vorschläge zur Problemlösung und zur Lösung von Entwicklungsaufgaben – wie etwa die Formulierung eines Schulleitbilds - unter den Gruppen einer Schule aushandeln. Wichtig ist dabei die Rolle einer Beratung von außen, die professionell bei der Aushandlung hoch konsensfähiger Lösungen hilft. Die Vorschläge der Aushandlungsgruppe werden nach einer breiten Diskussion der Schulgemeinde meist von den Gremien in Beschlüsse verwandelt. Der große Erfolg in der Umsetzung der Entwicklungsmaßnahmen liegt in deren Zustandekommen als Produkt eines von allen funktionalen Gruppen getragenen aktiven Prozesses, in dem alle Stimmen ernst genommen werden.
Auch in Hamburg gibt es an einzelnen Schulen eine Kultur des Schülerfeedback, vor allem in beruflichen Schulen. Die Ausgabe der Zeitschrift 'Hamburg macht Schule' 05/03 ist mit mehreren Aufsätzen und Berichten dem Thema Schülerfeedback gewidmet. Ein Teil dieser Texte kann vom Hamburger Bildungsserver herunter geladen http://www.hamburger-bildungsserver.de/innovation/thema/feedback/ oder im Landesinstitut beim Referat Gesellschaft gedruckt bestellt werden.
Die ONO-Schülerfirma http://www.ono-systems.de ist unter kontakt@ono-systems.de erreichbar und gibt auf Anfrage gerne die Software zum Schülerfeedback sowie Support.
In der Diskussion über den Zusammenhang zwischen Aushandlungsrunde und Feedback-Instrument, entwickelt durch die jungen Erfinder der Schule, stellten sich einige entscheidende Faktoren für ein Gelingen der Schulentwicklung heraus. Dazu muß der Prozeß, in dem sich das Schülerfeedback als das wichtigste Produkt des ONO-Entwicklungsbeginns herausstellte, kurz skizziert werden:
Die Aushandlungsrunde war unter den Prinzipien Konsens und Weiterentwicklung von Stärken begonnen worden. Gerade nicht Probleme, Schwierigkeiten und Konflikte sollten der Ansatzpunkt sein, sondern das Anknüpfen an bestehenden Stärken der Schule und die Entwicklung von Ideen, über die unter allen funktionalen Gruppen der Schulcommunity schnell Einigkeit zu erziehlen war. In einer ersten "Wunschlistenrunde" wurde daher die Idee der Eltern, ein Instrument zum regelmäßigen Schülerfeedback zu entwickeln, als nicht konsensfähig aussortiert, da die Lehrer sich bis auf zwei Ausnahmen dagegen aussprachen. Andere, konfliktfreie Instrumente – aber wohl gerade deswegen auch die mit geringem Entwicklungspotential – wurden stattdessen favorisiert, wie etwa die Einrichtung eines Kummerkastens.
Dabei wäre es vermutlich geblieben, hätte nicht der Erfinder der Methode der Aushandlungsgruppe, Marcus Hildebrandt, als externer Begleiter und kluger Supervisor des Aushandlungsprozesses ein Unbehagen darüber verspürt, daß der dringende Wunsch der Eltern durch die Ablehnung der Lehrerschaft übergangen worden war. Er unterstützte die Eltern, ihren Wunsch nach Schülerfeedback aufrechtzuerhalten und eine Lobbytätigkeit zur Umstimmung der Lehrer zu entfalten. Dies bedeutete, daß die Eltern die Motive für die Ablehnung der Lehrer eruieren und Vorschläge dazu machen mußten, wie Schülerfeedback stattfinden könnte, ohne daß die Lehrer Angst vor einem Ranking (gute Lehrer-schlechte Lehrer) haben müßten. In diesem längeren Prozeß konnten die Lehrer schließlich umgestimmt und zur Annahme des Schülerfeedbacks als wichtigstem Outcome der Aushandlungsrunden bewegt werden, nachdem ihnen zugesichert wurde, daß kein Lehrer gezwungen sei, Schülerfeedback zu seinem Unterricht einzuholen, daß die Ergebnisse eines Feedbacks nicht an die Schulöffentlichkeit oder in die Hand der Schulleitung gelangen würden und daß der einzelne Lehrer darüber alleine entscheiden dürfe, was mit den Feedback-Ergebnissen anschließend geschehen solle. Das Feedback-Instrument konnte in die Entwicklung gehen.
Inzwischen nehmen immer mehr Lehrer am Schülerfeedback teil, und die erleichterten Stimmen dieser Lehrer, daß Schülerfeedback entgegen ihren anfänglichen Ängsten für sie selbst zu einem wichtigen Instrument zur Verbesserung ihres Unterrichts und ihrer Kommunikation mit den Schülern geworden sei, häufen sich.
Zu lernen ist aus diesem Vorgang folgendes: Das Schülerfeedback als wichtigstes und potentestes Ergebnis der Aushandlungsgruppe war nicht durch Vermeidung von Problemen, Widersprüchen und Konflikten zu erhalten, sondern ist gerade aus den Widersprüchen, ihrer Artikulation und Kommunikation und einem offensiven Umgang mit ihnen entstanden. Damit die Aushandlungsrunden nicht zu relativ nutzlosen "Friede-Freude-Eierkuchen"- Runden werden, die sich aus Vermeidung von Konflikten nur mit dem Unproblematischen der Schule beschäftigen (Wozu wären sie dann überhaupt nötig?), ist eine kluge Methodologie und eine kompetente Begleitung von außen nötig, die hilft, die auftauchenden Widersprüche zur Sprache zu bringen, die nötige Konfrontation produktiv zu begleiten und den Prozeß zur Erfindung eines intelligenten Instruments, das gerade an den Widersprüchen ansetzt, um sie auf einer entwickelteren Stufe zu bearbeiten, mit den Beteiligten durchzustehen.
In dem Konzept der Aushandlungsrunde wurde dessen Schwachstelle – daß in ihm nur die Seite des Konsenses und der Stärken betont werden – ausgeglichen durch die kluge Beaufsichtigung und Gegensteuerung des Konzepterfinders in der praktischen Anwendung. Damit ist das Gelingen eines Prozesses nach diesem Konzept jedoch an die Person gebunden.
In einem Gespräch mit dem Konzeptentwickler Marcus Hildebrandt stellte sich heraus, daß die Methode der Aushandlungsgruppen sich noch in der Phase der Praxiserprobung befindet und zu einer organisierten Reflexion – von einer theoretischen Ausarbeitung ganz zu schweigen – noch gar keine Zeit war und bisher auch keine Ressourcen dafür akquiriert werden konnten. Da aber schon mehrere gelungene Schulentwicklungsprozesse in der Praxis und unter der Anleitung von Hildebrandt damit durchgeführt wurden, wäre dieser vielversprechenden Methode eine Weiterentwicklung und theoretische Unterfütterung sehr zu wünschen.
Dafür bietet sich ein schon seit vielen Jahren in Finnland in der Praxis bewährter und auch in der Theorie schon weit entwickelter Ansatz an, der gerade die Widersprüche zum Ausgangspunkt des Lernens – und auch des Organisationslernen – gemacht hat: Yrjö Engeström, Professor an der erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Helsinki entwickelt nach dem von ihm gefundenen Konzept des Expansive Learning und der Methodologie der Developmental Work Research an einem eigenen Institut, dem Center For Activity Theory And Developmental Work Research seit 15 Jahren erfolgreich Betriebe, Schulen, Krankenhäuser, Teile des finnischen Postwesens, u.a. Organisationen und Institutionen mehr. Gleichzeitig werden die Entwicklungsprojekte von ihm und seinem Mitarbeiterstab – weiteren Professoren und jeweils ca. 50 Doktoranden – mit wissenschaftlicher Forschung begleitet, daran die Theorie und Methodologie selbst weiter entwickelt und deren Ergebnisse wieder in die praktischen Entwicklungsprojekte zurückgespeist. In Engeströms Ansatz werden die Widersprüche eines Tätigkeitssystems als Triebkraft von Veränderungen aufgespürt, modelliert und analysiert, sodaß im kollektiven Entwicklungsprozeß mithilfe der Berater/Forscher bewußt damit umgegangen werden kann.
Die überaus anschaulichen Forschungsberichte der einzelnen Projekte, die gleichzeitig zur Darstellung und Erläuterung der Theorie des Expansiven Lernens dienen, sind in zwei Bänden mit 36 Aufsätzen in englischer Sprache in Deutschland zu haben. Ein MUST für alle, die im Bereich der Schulentwicklung praktisch oder/und theoretisch arbeiten und auf die avanciertesten international renommierten Konzepte nicht verzichten wollen. In Vorbereitung befindet sich eine deutsche Übersetzung der beiden Aufsatz-Bände, dessen erster Band mit 18 Aufsätzen 2007 in der Schriftenreihe von ICHS erscheinen soll.
Dabei sind nicht nur Zusammenbruch und Clash des deutschen Schulsystems längst und vielfältig prognostiziert worden (Erfurt schon vergessen?): Es liegen auch schon seit langem genügend Vorbilder und Instrumente für die überfällige Rekonstruktion des Bildungswesens bereit, die aus dem Desaster des heruntergekommenen selektierenden Systems herausführen würde. Um einmal nicht vom finnischen, schwedischen oder kanadischen Modell zu sprechen – denn so langsam kommt man sich dabei wie eine tibetische Gebetsmühle vor - : Vielversprechende Ansätze gibt es auch in Deutschland selbst. Jeder engagierte Elternvertreter kennt die anschauliche DVD-Dokumentation von Reinhard Kahl – "Treibhäuser der Zukunft". Auch die dort dokumentierten Ansätze sind beileibe keine neuen Erkenntnisse, denn sie setzen nur fort, was schon vor 15 Jahren – zur Zeit des finnischen Reformbeginns – von Kahl in seinen Videodokumentationen "Lob des Fehlers" vorgeführt worden war: Lernen für die Gegenwart und Zukunft muß im Informationszeitalter unter ganz anderen Bedingungen stattfinden: individualisiert, kollektiv, selbstbestimmt, projektförmig forschend und mit dem Computer. Und das nicht nur für die Kinder der gesellschaftlichen Eliten, sondern für alle.
Administrative Schulentwicklungsversuche nach dem beliebten deutschen Top-Down-Implementations-Modell – die Bildungspolitik beschließt, die Behörde "bricht in Maßnahmen herunter" und befiehlt den Lehrern, was sie und wie sie ab jetzt ihre Tätigkeit auszuführen haben – sind beinahe jedes Schuljahr neu auf die Schulen heruntergeregnet. Bewährt hat sich davon kaum etwas, stattdessen hat es Resignation und Verbitterung erzeugt. Die einzige Alternative besteht darin, daß sich die Schulen selbst entwickeln.
Ein Beispiel für einen potenten Ansatz zur Selbstentwicklung – einer Rekonstruktion von Schule durch diejenigen, die in ihr arbeiten - konnte man gestern in Hamburg kennen lernen:
Schüler, Eltern, Lehrer entwickeln ihre Schule:
Aushandlungsgruppe und Schülerfeedback
Max Wolter und Franz Kißig, zwei der vier Gründer der ONO-Systems stellen ihre Erfindung vor
Mehr als 80 Eltern, Lehrer, Schulleiter, Lehrerfortbildner und Schüler aus Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen kamen am 5.4.06 in der Aula des LI zusammen, um sich über Funktionsweise und Erfolge zweier neuer Instrumente zur demokratischen Schulentwicklung zu informieren.
Zwei Schüler der Otto-Nagel-Oberschule (ONO) in Berlin-Biesdorf waren mit ihrem Schulleiter, Lutz Seele, und dem Berliner Schulentwicklungsberater Dr. Marcus Hildebrandt auf Einladung des Referats Gesellschaft aus Berlin angereist, um das Produkt ihrer Schülerfirma 'ONO-Systems' vorzustellen: eine Software zur Selbstevaluation der Schule durch Schülerfeedback. Die Schüler ließen ihr hochleistungsfähiges Instrument, das in schnellster Zeit Hunderte von digitalen "Fragebögen" aufnehmen und in einer Grafik auswerten kann, direkt vom begeisterten Publikum testen. Die beeindruckende Erfindung, die preisverdächtig im Jugend forscht–Wettbewerb sein dürfte, ist das Ergebnis eines demokratischen Schulentwicklungsprozesses durch das Instrument der Aushandlungsgruppe des Otto-Nagel-Gymnasiums.
Die Aushandlungsgruppen, - so erläuterte der Schulentwicklungsberater Hildebrandt - sind paritätisch zusammengesetzte Arbeitsgruppen aller Beteiligten einer Schule: Schüler, Lehrer, Eltern und auch der sonstigen Mitarbeiter einer Schule. Sie beruhen auf freiwilliger Mitarbeit ihrer Teilnehmer, sind nicht mit Gremien zu verwechseln, sondern arbeiten diesen zu, indem sie Vorschläge zur Problemlösung und zur Lösung von Entwicklungsaufgaben – wie etwa die Formulierung eines Schulleitbilds - unter den Gruppen einer Schule aushandeln. Wichtig ist dabei die Rolle einer Beratung von außen, die professionell bei der Aushandlung hoch konsensfähiger Lösungen hilft. Die Vorschläge der Aushandlungsgruppe werden nach einer breiten Diskussion der Schulgemeinde meist von den Gremien in Beschlüsse verwandelt. Der große Erfolg in der Umsetzung der Entwicklungsmaßnahmen liegt in deren Zustandekommen als Produkt eines von allen funktionalen Gruppen getragenen aktiven Prozesses, in dem alle Stimmen ernst genommen werden.
Auch in Hamburg gibt es an einzelnen Schulen eine Kultur des Schülerfeedback, vor allem in beruflichen Schulen. Die Ausgabe der Zeitschrift 'Hamburg macht Schule' 05/03 ist mit mehreren Aufsätzen und Berichten dem Thema Schülerfeedback gewidmet. Ein Teil dieser Texte kann vom Hamburger Bildungsserver herunter geladen http://www.hamburger-bildungsserver.de/innovation/thema/feedback/ oder im Landesinstitut beim Referat Gesellschaft gedruckt bestellt werden.
Die ONO-Schülerfirma http://www.ono-systems.de ist unter kontakt@ono-systems.de erreichbar und gibt auf Anfrage gerne die Software zum Schülerfeedback sowie Support.
In der Diskussion über den Zusammenhang zwischen Aushandlungsrunde und Feedback-Instrument, entwickelt durch die jungen Erfinder der Schule, stellten sich einige entscheidende Faktoren für ein Gelingen der Schulentwicklung heraus. Dazu muß der Prozeß, in dem sich das Schülerfeedback als das wichtigste Produkt des ONO-Entwicklungsbeginns herausstellte, kurz skizziert werden:
Die Aushandlungsrunde war unter den Prinzipien Konsens und Weiterentwicklung von Stärken begonnen worden. Gerade nicht Probleme, Schwierigkeiten und Konflikte sollten der Ansatzpunkt sein, sondern das Anknüpfen an bestehenden Stärken der Schule und die Entwicklung von Ideen, über die unter allen funktionalen Gruppen der Schulcommunity schnell Einigkeit zu erziehlen war. In einer ersten "Wunschlistenrunde" wurde daher die Idee der Eltern, ein Instrument zum regelmäßigen Schülerfeedback zu entwickeln, als nicht konsensfähig aussortiert, da die Lehrer sich bis auf zwei Ausnahmen dagegen aussprachen. Andere, konfliktfreie Instrumente – aber wohl gerade deswegen auch die mit geringem Entwicklungspotential – wurden stattdessen favorisiert, wie etwa die Einrichtung eines Kummerkastens.
Dabei wäre es vermutlich geblieben, hätte nicht der Erfinder der Methode der Aushandlungsgruppe, Marcus Hildebrandt, als externer Begleiter und kluger Supervisor des Aushandlungsprozesses ein Unbehagen darüber verspürt, daß der dringende Wunsch der Eltern durch die Ablehnung der Lehrerschaft übergangen worden war. Er unterstützte die Eltern, ihren Wunsch nach Schülerfeedback aufrechtzuerhalten und eine Lobbytätigkeit zur Umstimmung der Lehrer zu entfalten. Dies bedeutete, daß die Eltern die Motive für die Ablehnung der Lehrer eruieren und Vorschläge dazu machen mußten, wie Schülerfeedback stattfinden könnte, ohne daß die Lehrer Angst vor einem Ranking (gute Lehrer-schlechte Lehrer) haben müßten. In diesem längeren Prozeß konnten die Lehrer schließlich umgestimmt und zur Annahme des Schülerfeedbacks als wichtigstem Outcome der Aushandlungsrunden bewegt werden, nachdem ihnen zugesichert wurde, daß kein Lehrer gezwungen sei, Schülerfeedback zu seinem Unterricht einzuholen, daß die Ergebnisse eines Feedbacks nicht an die Schulöffentlichkeit oder in die Hand der Schulleitung gelangen würden und daß der einzelne Lehrer darüber alleine entscheiden dürfe, was mit den Feedback-Ergebnissen anschließend geschehen solle. Das Feedback-Instrument konnte in die Entwicklung gehen.
Inzwischen nehmen immer mehr Lehrer am Schülerfeedback teil, und die erleichterten Stimmen dieser Lehrer, daß Schülerfeedback entgegen ihren anfänglichen Ängsten für sie selbst zu einem wichtigen Instrument zur Verbesserung ihres Unterrichts und ihrer Kommunikation mit den Schülern geworden sei, häufen sich.
Zu lernen ist aus diesem Vorgang folgendes: Das Schülerfeedback als wichtigstes und potentestes Ergebnis der Aushandlungsgruppe war nicht durch Vermeidung von Problemen, Widersprüchen und Konflikten zu erhalten, sondern ist gerade aus den Widersprüchen, ihrer Artikulation und Kommunikation und einem offensiven Umgang mit ihnen entstanden. Damit die Aushandlungsrunden nicht zu relativ nutzlosen "Friede-Freude-Eierkuchen"- Runden werden, die sich aus Vermeidung von Konflikten nur mit dem Unproblematischen der Schule beschäftigen (Wozu wären sie dann überhaupt nötig?), ist eine kluge Methodologie und eine kompetente Begleitung von außen nötig, die hilft, die auftauchenden Widersprüche zur Sprache zu bringen, die nötige Konfrontation produktiv zu begleiten und den Prozeß zur Erfindung eines intelligenten Instruments, das gerade an den Widersprüchen ansetzt, um sie auf einer entwickelteren Stufe zu bearbeiten, mit den Beteiligten durchzustehen.
In dem Konzept der Aushandlungsrunde wurde dessen Schwachstelle – daß in ihm nur die Seite des Konsenses und der Stärken betont werden – ausgeglichen durch die kluge Beaufsichtigung und Gegensteuerung des Konzepterfinders in der praktischen Anwendung. Damit ist das Gelingen eines Prozesses nach diesem Konzept jedoch an die Person gebunden.
In einem Gespräch mit dem Konzeptentwickler Marcus Hildebrandt stellte sich heraus, daß die Methode der Aushandlungsgruppen sich noch in der Phase der Praxiserprobung befindet und zu einer organisierten Reflexion – von einer theoretischen Ausarbeitung ganz zu schweigen – noch gar keine Zeit war und bisher auch keine Ressourcen dafür akquiriert werden konnten. Da aber schon mehrere gelungene Schulentwicklungsprozesse in der Praxis und unter der Anleitung von Hildebrandt damit durchgeführt wurden, wäre dieser vielversprechenden Methode eine Weiterentwicklung und theoretische Unterfütterung sehr zu wünschen.
Dafür bietet sich ein schon seit vielen Jahren in Finnland in der Praxis bewährter und auch in der Theorie schon weit entwickelter Ansatz an, der gerade die Widersprüche zum Ausgangspunkt des Lernens – und auch des Organisationslernen – gemacht hat: Yrjö Engeström, Professor an der erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Helsinki entwickelt nach dem von ihm gefundenen Konzept des Expansive Learning und der Methodologie der Developmental Work Research an einem eigenen Institut, dem Center For Activity Theory And Developmental Work Research seit 15 Jahren erfolgreich Betriebe, Schulen, Krankenhäuser, Teile des finnischen Postwesens, u.a. Organisationen und Institutionen mehr. Gleichzeitig werden die Entwicklungsprojekte von ihm und seinem Mitarbeiterstab – weiteren Professoren und jeweils ca. 50 Doktoranden – mit wissenschaftlicher Forschung begleitet, daran die Theorie und Methodologie selbst weiter entwickelt und deren Ergebnisse wieder in die praktischen Entwicklungsprojekte zurückgespeist. In Engeströms Ansatz werden die Widersprüche eines Tätigkeitssystems als Triebkraft von Veränderungen aufgespürt, modelliert und analysiert, sodaß im kollektiven Entwicklungsprozeß mithilfe der Berater/Forscher bewußt damit umgegangen werden kann.
Die überaus anschaulichen Forschungsberichte der einzelnen Projekte, die gleichzeitig zur Darstellung und Erläuterung der Theorie des Expansiven Lernens dienen, sind in zwei Bänden mit 36 Aufsätzen in englischer Sprache in Deutschland zu haben. Ein MUST für alle, die im Bereich der Schulentwicklung praktisch oder/und theoretisch arbeiten und auf die avanciertesten international renommierten Konzepte nicht verzichten wollen. In Vorbereitung befindet sich eine deutsche Übersetzung der beiden Aufsatz-Bände, dessen erster Band mit 18 Aufsätzen 2007 in der Schriftenreihe von ICHS erscheinen soll.
Lisa Rosa - 6. Apr, 22:59
Klasse Artikel!