Politik

Donnerstag, 31. August 2006

Bester Link zum Nahostkonflikt

ersetzt - nein übertrifft - meine (Libanonkrieg-) Linksammlung um ein Vielfaches an Informationswert:

http://www.israelipalestinianprocon.org/

Dokumente, Karten, Darstellungen und Stellungenahmen en masse.
Der Ansatz der Organisation ist vielversprechend multisperspektivisch und stellt kontroverse Auffassungen zu den zentralen Fragen zusammen.
Die Seite ist ein Forschungsprojekt der ProCon.org, die ihre Ziele so formuliert:
"Our goal is to publish the best available pro and con responses to the question: "What are the solutions to the Israeli - Palestinian conflict?" and related questions."
"The Mission Statement of ProCon.org is: Promoting informed citizenship by presenting controversial issues in a simple, nonpartisan pro-con format".

Donnerstag, 24. August 2006

Kommentierte Linksammlung zum Libanonkrieg

Nicht nur im Politik- und Geschichtsunterricht – aber vor allem in diesen Fächern – wünschen sich viele Schüler eine Anleitung zum Umgang mit der verstörenden und beängstigenden kriegerischen Zuspitzung des Nahost-Konflikts, mit dem sie in den letzten Wochen in allen Medien konfrontiert wurden. Aktuelles "durchdidaktisiertes" Unterrichtsmaterial gibt es zu diesem Thema kaum, und was es gibt, ist eher enttäuschend . Es bleibt dem Lehrer und der Lehrerin also nichts anderes übrig, als sich gemeinsam mit den Schülern an die Erforschung des Gegenstands zu machen. Das ist eine gute Gelegenheit, selbstgesteuertes Lernen und kooperative Unterrichtsformen anzuwenden. Dass dabei das Internet eine zentrale Rolle spielen muss, ist klar. Diese kommentierte Linksammlung soll beim Auffinden interessanter und relevanter Seiten im Internet helfen, die sowohl der Orientierung der Lehrkräfte als auch zur Information für Schülergruppen der Jahrgänge 10-13, sowie als Ausgangsmaterial für Diskussionen im Unterricht dienen können.

Linksammlung (rtf, 60 KB)

Mittwoch, 17. Mai 2006

Vom Träumen

Schön, daß wir mal wieder davon hören.
stern.de Wirtschaft zeigt heute mal wieder darauf: "Satte Gewinne [vermeldet der Kommentar richtig] - hoffentlich für alle [frommwünscht der Kommentator niedlich]".
"Die Lufthansa hat 2005 einen Gewinnsprung von 154 Prozent gemacht, Linde 113 Prozent, Bayer 151 Prozent - um nur einige Beispiele zu nennen." Ja. Das ist die Höhe. Aber es ist ganz und gar neu nur für diejenigen, die wirklich glauben, hohe Löhne hingen von hohen Profiten ab. Das tun sie mitnichten - im Gegenteil: hohe Profite gibt es bei niedrigen Löhnen.
"Von diesem Profit sollten alle profitieren." Oh ja, wer von denen, die nicht profitieren, träumt nicht vom Mitprofitieren? Schaun wir mal, wie naiv die Vorstellungen sind:

"Das Profit-Einfahren diktiert der (Welt-)Markt. Knallhart, ohne Moral. Das Treiben betrachten wir mal staunend, mal murrend, oft kleinmütig. Das Ausreizen und Missachten der wenigen Marktregularien bringt zwei Zünfte in Lohn und Brot: Berater und Anwälte. Alle anderen in der freien Wirtschaft, zu vorderst wir Arbeitnehmer, leben vom Ausschütten der Profite. Deshalb reden wir seit gut 100 Jahren darüber mit. Ein bisschen zumindest. Politisch." Hm. Das klingt ja richtig nüchtern und realistisch. Aber es ist falsch. Im Ansatz falsch. Denn wir leben nicht alle in der freien Wirtschaft von der "Ausschüttung der Profite", schon gar nicht die "Arbeitnehmer" - also die Arbeitskraftgeber, um genau zu sein. Die leben nämlich von ihrem Lohn. Der Lohn ist das, was auf dem Arbeitsmarkt als Äquivalent für den Verkauf der Ware Arbeitskraft zu erzielen ist. Über die Höhe der Profite oder gar über deren "Ausschüttung" hatte der "Arbeitnehmer" noch nie mitzureden. Kein bißchen. Was aber seit 150 Jahren nicht vergeht, ist die Vorstellung vom "gerechten" Lohn - hier kommt sie sogar als naive Forderung nach "angemessener Gewinnbeteiligung" (siehe unten).

Nun kann man natürlich weiterhin an die Kraft des Wünschens glauben - hartnäckig, obwohl es seit nunmehr 7 Generationen nichts geholfen hat.
Man kann aber statt in Märchen herumzuwünschen auch bei Marx nachschauen, wie die Ökonomie des nunmehr einen Systems funktioniert, man kann sich dabei auch helfen lassen, etwa von Georg Fülberths Artikeln in Konkret - wenn man bloß nicht so verdammt darauf fixiert wäre, sich die Funktionsweise dieser Ökonomie ausgerechnet von denen erklären zu lassen, die darin die Profite machen, oder - Kehrseite der Medaille - von den Kleinbürgern, die ihre (verständliche) Wut schon für Analyse halten und denen drum die Globalisierung und die Finanzmärkte als der böse Kapitalismus, das "einheimische" mit "einheimischen" ArbeitskraftzuMarktetragenden Menschen Profit erzielende Unternehmertum aber als guter, gerechter oder doch wenigstens erträglicher Kapitalismus gelten.

Höhere Löhne gibt es nicht, weil die Profite hoch sind und drum die Profiteure spendabel - höhere Löhne gibt es, wenn der Marktpreis der Ware Arbeitskraft gestiegen ist. Und das tut er, wenn diese Ware Mangelware wird. Davon kann aber weißgott keine Rede sein in einer Zeit, wo die freigesetzte Arbeitskraft schon froh sein muß, wenn sie sich für einen Euro die Stunde feilbieten oder zu ganz offiziellen Bedingungen leiharbeiten darf, und trotzdem nicht mehr hat als ein Sozialhilfeempfänger. (Natürlich kann man mit dem Finger auf die maximierten Profite zeigen und daran seine Lohnforderungen festmachen. Zwar hilft es nicht - aber immerhin.)

Aber der Kommentator meint vielleicht, die Gemeinschaft via Staat könne am Gewinn beteiligt werden.
"Weltweite Arbeitsteilung: Die Investitionsziele der Firmen liegen, wie viele ihrer Gewinnquellen, zunehmend außerhalb Deutschlands. Ein erheblicher Teil der Profite (und Arbeitsplätze) wandert schnurstracks an der heimischen Wirtschaft vorbei. Kein Mensch, am wenigsten ein Politiker, kann diese Wanderung aufhalten. Sie ist nicht neu, sondern begann schon in den 60er Jahren, also im Anschluss an das Binnen-"Wirtschaftswunder". Nur kurz - zu Beginn der 90er Jahre - verringerte sich der deutsche Drang hinaus in die Welt. Die Ex-DDR lag näher. Doch schon bald lockten wieder die Möglichkeiten der globalisierten Märkte, die weltweite Arbeitsteilung. " Richtig! Und wieder so nüchtern realistisch. Aber der Kommentator hofft entgegen aller Einsichten auf ein Einsehen, (obwohl doch kein Mensch, am wenigsten ein Politiker...) denn:

"Exportweltweister - Made in Germany". Kein Problem, solange zu Hause alles im Lot schien. Jetzt, da Arbeitsmarkt, Rente, Gesundheit, Pflege und Staatsfinanzen, endlich auch anerkanntermaßen marodieren, ist es ein Problem." Und da vergißt er in der Eile zu fragen, für wen...
Und höre ich richtig: Das patriotisch gesinnte Kapital kommt "nach Hause", weil der Haussegen schief hängt und die "Heimat" in Ordnung gebracht werden muß - und spendet dafür auch noch einen Teil des Profits? - Nebbich!

Zwar werden
"fromme Appelle (..) es ebenso wenig lösen, wie gestriges Geschrei. Es braucht politische Vorgaben. Durchdacht, verlässlich und handwerklich einwandfrei. Realistischerweise sollten sich auf diese Art zumindest zwei Sanierungsbeiträge von unseren "Global-Playern" einfordern lassen: Zum einen, dass sie in der Heimat angemessene Steuern zahlen, und dass Spartenverkauf und Abwanderei nicht länger subventioniert werden."
Ach ja, da wollen wir wieder träumen - diesmal vom Primat der Politik, der mit "handwerklich einwandfreiem" politischen Handeln einzufordern wäre und den es doch auch nie gegeben hat. Handwerklich einwandfreies politisches Handeln kann es in diesem ökonomischen System gar nicht geben - nur mehr oder weniger ungeschicktes Handwerkeln. (Und welches Ausmaß an Marodität staatlicher und gesellschaftlicher Strukturen für den Maximalprofit hinzunehmen, das Kapital in der Lage ist - das kann man überall auf der Welt betrachten. Von diesen möglichen hinzunehmenden maroden Zuständen sind wir hier allerdings weit entfernt.)
Und wenn der Kommentator es so trotz aller Zwars und Abers in aufblitzendem Realismus wieder in die Märchenwelt zurück geschafft hat, dann auch gleich richtig - siehe oben:
"Zum anderen, dass heimische Mitarbeiter angemessen an den Gewinnen beteiligt werden - was nicht bedeuten muss, Lohnstückkosten wettbewerbsschädlich zu erhöhen." Und er träumt von "neue(n) Formen der Mitarbeiter-Beteiligungen".
Es gibt nur einen Grund, warum Unternehmen über Mitarbeiter-Beteiligung nachdenken: Damit die "Mit"arbeiter besser "mit"arbeiten. Vulgo höheren Profit erzeugen. Das kann unter Umständen tatsächlich im Interesse der Beschäftigten liegen. Aber es handelt sich auch dabei um nichts weniger als um "Profit-Ausschüttung".

Trotzdem schön, daß wir mal wieder drüber reden konnten.

Montag, 1. Mai 2006

Verwaltung statt Politik

Zwar ist heute der 1. Mai, und bembelkandidat hat den Kampf- oder Nichtkampftag der Arbeiterklasse oder nicht -klasse schon gewürdigt und das Küchenkabinett wird es bestimmt noch tun.
Ich komme jedoch den Tagesereignissen und dem politischen Kalender kaum hinterher und bin mit den politischen Scherzen des 1. April in Hamburg-Harburg noch nicht fertig.
Am 1. April titeln die Harburger. Anzeigen und Nachrichten "'Das mache ich nicht mit!' Harburg: Bezirksamtleiter gegen Politisierung des Rathauses". Ein dummer Aprilscherz, denke ich zunächst, denn das kann ja wohl nicht ernst gemeint sein: Rathaus ohne Politik. Doch ich muß mich eines Besseren belehren lassen: Es ist nicht nur Ernst - es ist Realsatire, wie man sie nicht besser erfinden kann.

Die DGB-Jugend hatte eine Ausstellung in den Räumen des Rathauses zur Aufklärung über die aktuellen Strategien und Aktionen der rechtsextremen Jugend beantragt, die vom Bundesfamilienministerium gefördert wird. Die CDU-Fraktion lehnte die Ausstellung in den Räumen des Harburger Rathauses ab; im Harburger Raum sind Neonazi-Gruppen präsent. Fraktionschef Ralf-Dieter Fischer begründet die Ablehnung laut TAZ damit,
"dass eine Antifa-Woche, 'die im Rathaus veranstaltet wird und damit einen offiziellen Charakter erhält, kontraproduktiv' sei und die 'Kreativität unerwünschter rechter Organisationen' hervorrufe. Zurückhaltung sei 'angebracht'. Auch die Polizei ermahne, 'die Spirale nicht noch weiterzudrehen'. Außerdem dürften sowieso nur die Bezirksfraktionen die Räume im Rathaus nutzen. Würden sie für die Antifa-Woche geöffnet, befürchtet er, könnte das 'schwer abwehrbahre Forderungen nach Gleichbehandlung nach sich ziehen'".

Die darauf folgende öffentliche Auseinandersetzung zwischen CDU einerseits und der DGB-Jugend sowie der SPD andererseits, führte dann zu der oben genannten Äußerung des Bezirksamtsleiters Torsten Meinberg (CDU), der laut Harburger. Anzeigen und Nachrichten schnell noch ein gewichtiges, weil verwaltungstechnisches Argument nachschob, nämlich daß Veranstaltungen dieser Art den Dienstbetrieb erheblich beeinträchtigten.

Diese Vorgänge und Äußerungen wären zum Lachen, wenn sie nicht so gefährlich und leider so verbreitet in den deutschen Amtsstuben wären: eine "demokratische Mitte"-Partei, die den Kampf gegen Neonazismus nicht in ihrem Rathaus haben möchte, weil sie sich dann selbst mit den Neonazis auseinandersetzen müßte; eine Polizei, die wegen bloß formaler Auffassung ihres Auftrags - für Schutz vor Gewaltakten und für die Einhaltung der Gesetze zu sorgen - nicht zwischen den Nazis und der Gegenwehr gegen sie unterscheiden kann, und die darum behauptet, Gegenmaßnahmen würden die Nazis erst zur Aktion motivieren; und ein Amtsleiter, der keine Politik in seinem Rathaus wünscht, weil diese den Dienstalltag stört -
diese feige vornehme (Zurück-)Haltung war seinerzeit mitverantwortlich dafür, daß das Vorbild der Neonazis, die NSDAP, überall im Deutschen Reich so präsent werden und die sozialen Strukturen von Stadtteilen und Kommunen völlig unbehelligt von den Amtsinhabern und Amtsverwaltern der Demokratie druchdringen konnte - lange, bevor sie von unten an die Macht gewählt und von oben damit beauftragt wurde.

Die Entpolitisierung des öffentlichen Raums und die Veramtisierung der Rathäuser und Parlamente, die Politik nicht als "Einmischung der Subjekte in ihre eigenen Angelegenheiten" (Max Frisch) verstehen, sondern auf Amtsakte und ungestörten "Dienstbetrieb" reduzieren möchten, sind verantwortlich dafür, daß es in vielen ostdeutschen Kommunen "national befreite Zonen" geben kann. Schon jetzt sind in solchen Orten die Nazis die einzigen, die in diesen "politikfreien" Räumen Politik machen.
Und - wie die Geschichte gezeigt hat: Es ist schwierig, sie danach durch einen von oben angeordneten "Aufstand der Anständigen" wieder hinauszuwerfen, wenn man zuvor die Anständigkeit nicht gepflegt, sondern des Raums verwiesen hat.

Mir ist das Lachen über den Aprilscherz in Harburg im Halse stecken geblieben. Wer wirklich laut gelacht haben wird über diesen Streich? Die Harburger Neonazis.

Freitag, 30. September 2005

Warum ausgerechnet den?

Heute darf sich Otto Graf Lambsdorf in der SZ über "harte Wahrheiten in der Politik" auslassen. Wieso denn der? Weil die Gelben ihn trotz seiner dreifach belasteten Vergangenheit zum Ehrenvorsitzenden gemacht haben - einen Vorbestraften?
Nunja, interviewt wurde er als Experte für Rechtswenden. Und weil er bei der letzten Wende 1982, der Wende der FDP zur CDU-Koalitionspartnerschaft, doch so erfolgreich war, darf er nun aus dem Altkämpen-Lager gegen den deutschen Wähler kläffen, der immer noch nicht aus Verelendung klug geworden sei, der immer noch nicht richtig wählen könne, und dem man weiteren Essensentzug androhen muß, damit er endlich zur Vernunft komme: Den Wählern, so sagt der kriminelle gräfliche Ehrenvorsitzende, fehle es an der Einsicht in das Notwendige, und erst die bittere Not "wie 1979 in England" führe dazu, daß er sich zur Vernunft wende und "unpopuläre Schritte" und "harte Maßnahmen", die nun einmal nötig seien, endlich akzeptiere.

Nur: Das Kind ist größer geworden und glaubt nicht mehr so recht an den in die Jahre gekommenen Knecht Ruprecht. Und so klingt der Graf auch eher resigniert denn bedrohlich auf Seite 9. Denn richtig ist: Die "planmäßige Aufrollung einer Gesellschaft durch die Unternehmer und die von ihnen bezahlten Thinktanks" hat doch nicht ganz so glatt hingehauen, wie erwartet. Immerhin.

Die gräfliche Vision vom einsichtigen Deutschen, der sich zustimmend nickend statt ärgerlich murrend den Gürtel zusammenzurren läßt, will auch nicht zur Du-Deutschland-Kampagne passen. Denn weder die Ruckfigur aus der Tradition der Präsidentenrhetorik noch die Beschwörung des "selbstverantwortlichen" DubistDeutschland-Deutschen verträgt sich mit der Figur eines brav duldenden Zähnezusammenbeißers. Und so müssen sich die pädagogisch schlecht ausgebildeten Volkserzieher der politischen Klasse noch eine Weile hin und her wundern, warum ihre Schäfchen nicht tun, was sie sollen, bis sie drauf kommen, daß das deutsche Stimmvieh weder in die eine Figur noch in die andere paßt - und schon gar nicht in beide gleichzeitig.

Montag, 29. August 2005

Männer machen Geschichte

Gleich vormerken für den Standard-Multiple Choice-Test im Geschichtsabitur:

Wer sagte: "Mein Auftritt ist ein historisches Datum"?

a) Napoleon
b) Hitler
c) Dschordsch Dabbeljuhu
d) Benedictus Bavaricus

Einhilfe: Es ist was mit L!

Samstag, 27. August 2005

Kinder zu dumm zum Wählen?

Da man mich im Küchenkabinett hartnäckig kommentarlos läßt, dh. meine Kommentare nicht freischaltet, muß ich - bevor ich am Ende noch eine Küchenkabinett-Paranoia entwickle - ins eigene Blog zum Thema Kinderwahlrecht. (Na gut, von Küche verstehe ich nichts, dafür aber einiges von Kindern und manches von Politik.)
In der Küche jedenfalls wurde heftig debattiert über den "Kinderwahlrecht" genannten Vorschlag von Paul Kirchhof, Familien dadurch zu fördern, daß sie je nach Anzahl der Kinder mehrere Wahlstimmen bekämen. Das ganze dann Kinderwahlrecht zu nennen, ist absurd, wenn man sich die Diskussionsbeiträge in der Küche dazu anschaut: Erwachsene überlegen da, welchem der Erwachsenen in der Familie - Vater, Mutter, Tante - diese Stimmen zustünden. Ja herrgottsack, geht mir da der Draht aus der Mütze! Würde man Frauenwahlrecht so verstehen, daß die Ehemänner der Frauen dann zwei Stimmen hätten? Neinneinnein! Das ist nicht etwas ganz anderes! Denn in der historischen Diskussion ums Frauenwahlrecht kamen tatsächlich genau die analogen Vorstellungen der üblichen Kommentare zum Kinderwahlrecht heute: Frauen seien zu dumm, um zu wählen. Die Selbstverständlichkeit, mit der allgemeine Einigkeit darin vorausgesetzt wird, Kinder seien zu dumm zum Wählen, zu hinterfragen, erntet noch überall Unverständnis. Und statt aus der richtigen Überlegung, es gäbe leider auch viele dumme Erwachsene, die Schlußfolgerung zu ziehen, daß "Klugheit", verdeckt unter dem Begriff "Mündigkeit" also kein Kriterium für das Wahlrecht sein kann, wird doch auch noch tatsächlich vorgeschlagen, eine "Mündigkeitsprüfung" für Familien einzuführen, damit man diejenigen von ihrem letztverbliebenen Recht, formale Demokratie auszuüben, auch noch ausschließen könnte, die als gesellschaftlich Exkludierte nicht die Gewähr dafür bieten, die "richtigen" Parteien zu wählen. Ohoh! Wenn jemand ausgeschlossen gehörte, dann wohl diese Vorschläger, jedenfalls solange sie nicht einen Nachhilfekurs in Demokratieverständnis absolviert haben.
Daß Kinder sehr wohl in der Lage sind, ihre Interessen zu formulieren und zu prüfen, wer diese am besten vertreten könnte, ja, daß sie sogar in der Lage sind, selbst aktiv Politik zu machen, zeigt das Beispiel Craig Kielburgers, der mit 12 Jahren die Organisation Free The Cildren gründete, die sich überall auf der Welt um die Kinderrechte und den Schutz von Kindern gegen Ausbeutung und Übergriffe durch Erwachsene kümmert. Ganz berühmte Geschichte. Wer kennt einen Erwachsenen in seiner privaten Umgebung, der ein derart hohes Maß an politischer Mündigkeit vorzuweisen hätte? Nun wird man natürlich einwenden, ein Craig Kielburger sei nunmal eine Ausnahme, ebenso wie ein 12-jähriger als Mathegenie-Doktorand eine Ausnahme darstelle. Schon richtig. Aber niemand würde deshalb behaupten, Kinder könnten keine Mathematik, weil sie Kinder sind. Von Mathematik-Mündigkeit habe ich jedenfalls noch nirgendwo gehört. Warum soll es mit Politik denn anders sein? Übrigens hat Craig Kielburger - obwohl Initiator - nicht allein Politik gemacht. Die vielen Kinder, mit denen er in seinem Team zusammengearbeitet hat: auch Ausnahmen? Free The Children, eine internationale Organsisation mit Gruppen in der ganzen Welt und tausenden von Mitgliedern, wird ausschließlich von Kindern betrieben. Man sieht: Zu untersuchen wäre, warum nicht alle Kinder so politikklug sind wie Craig - oder man könnte untersuchen, warum es so viele dumme Erwachsene gibt, obwohl sie wahlmündig sind.
Ich stelle mir ein Kinderwahlrecht vor: Die Politiker müßten die Kinder genauso ernst nehmen wie sie es bei den Erwachsenen tun: Als bedeutsamen Teil der Bevölkerung, auf deren Entscheidungen man Rücksicht zu nehmen hätte und die man zufrieden stellen müßte. Die Spielzeugindustrie jedenfalls hat keine Probleme damit. Sie hat die Kinder schon seit langem als ernst zu nehmende Konsumenten entdeckt und umwirbt sie von vorne bis hinten. Was tun denn die Politiker anderes mit ihrer Wahlwerbung um die Erwachsenen?

Montag, 15. August 2005

Stimmabgabe

Ich geh nicht zur Wahl! Was gibt es denn schon zu wählen? Immer nur Übel. Kleinere oder größere - ich will keine Übel wählen, sondern was Gescheites. Gescheites gibt es aber nicht. Aber eigentlich ist es ja schade um die schöne Stimme, die nicht abgegeben wird. Jetzt habe ich rausgefunden, was ich mit meiner Stimme machen werde: Ich werde sie abgeben - an jemand anderen, der etwas damit anfangen kann. Und wer könnte das sein? Mein 17-jähriger Sohn, der sich ärgert, daß er noch nicht wählen darf, aber genau weiß, was er wählen möchte. Er wird schon seine Gründe haben. Und morgen werde ich sie mir anhören, die Gründe. OK! Ich lasse mir am 18. September von ihm die Hand führen beim Ankreuzen. Woll! Problem gelöst: Die Stimme ist nicht verloren!

Donnerstag, 11. August 2005

Henne und Ei

"Misstrauen - eine deutsche Krankheit" , titelt der Bericht in der Printausgabe der SZ heute über die Studie Vertrauen des DIW Berlin. Herausgekommen ist in der neuesten Untersuchung, daß in Deutschland nur knapp ein Viertel der Befragten Gewerkschaften und Wirtschaftsunternehmen Vertrauen entgegenbringen. Mit der Politik steht es in Punkto Mißtrauen noch schlechter: Nur 20 Prozent der Deutschen haben Vertrauen in den Bundestag. "Selbst dem häufig öffentlich kritisierten Zeitungswesen wird in der Bevölkerung mit einem guten Drittel noch deutlich mehr vertraut als der Politik". Daß aber ohne Vertrauen nix geht, weiß jeder aus der Wirtschaft: Kein Geschäft ohne Vertrauen. In Hamburg gilt noch immer der traditionelle Geschäftsabschluß per Handschlag. Im vergleichenden Word Value Survey schneiden mal wieder die Skandinavischen Länder und die Niederlande - also die in Europa wirtschaftlich erfolgreichen Länder - weitaus besser in Vertrauensfähigkeit ab: Hier liegt der Anteil derer, die "im Allgemeinen Menschen vertrauen", bei mehr als 60 Prozent. In Deutschland dagegen sind es gerade mal 35 Prozent.
Wie kommt's? Ist der Deutsche an sich aus genetischer Anlage ein mißtrauischer Pimpel? Oder hat er sein Urvertrauen verloren durch schlechte Erfahrungen? Die Politische Klasse ringt jedenfalls in Wahlkampfzeiten darum, das Vertrauen der Wähler wiederzugewinnen. Na dann: Her mit den vertrauensbildenden Maßnahmen! Denn von der Wirksamkeit vertrauensbildenden Geredes habe ich noch nie gehört.
Und weiter Aufschlußreiches zeigt die Studie: Die Deutschen verhalten sich Fremden gegenüber "äußerst reserviert: Etwa 80 Prozent wird wenig oder gar kein Vertrauen geschenkt. Selbständige bilden übrigens eine Ausnahme. Fast ein Drittel vertraut Fremden. Diese Einstellung hilft dabei, riskante Geschäfte zu machen." So fassen die Leiter der Studie, Jürgen Schupp, Soziologe, und Gert Wagner, Ökonom, zusammen.
Genau: Gute Beziehungen, zuvörderst Geschäftsbeziehungen, machen tolerant. Auch hier zeigt sich wieder die Gültigkeit des Marxschen Satzes: Der größte Lehrmeister der Menschheit ist das Geld.

Dienstag, 5. Juli 2005

Wählerfischen und Politische Bildung

Wer erinnert sich noch daran, daß - vor der Aufregung mit den Bundestagswahlen im Herbst - es erst kürzlich monatelang Aufregung mit anderen Wahlen gegeben hat? Ah ja! Die Wahlen zum Sächsischen Landtag! Da war doch was mit der NPD und mit rechtsextremistischem Wählerpotential, das teilweise durch die NPD ausgehoben worden war zum Schrecken aller etablierten Parteien. Und was soll jetzt falsch daran sein, daß sich andere als die NPD endlich um diese Klientel kümmern, auf daß sie nicht wieder in ihrem Zorn über die Verhältnisse hereinfalle auf antisemitische, rassistische, nationalistische, autoritäre und antirepublikanische Welterklärung?
In der moralisch aufgeregten Debatte über die Zuneigung so vieler Sachsen zur NPD hatten kühlere, analytische Beiträge einen schweren Stand. Zum Beispiel Horst Meier: Er fand, daß man anstatt eines erneuten NPD-Verbotsversuchs eine politische Auseinandersetzung mit Programm und Politik der NPD führen müsse, vor der sich die Parlamentarier gedrückt hatten. "Aber wo, wenn nicht im Parlament, wäre der richtige Ort, sich mit Rechtsradikalen 'geistig' auseinanderzusetzen? Hier muss ganz exemplarisch der offene Diskurs, die harte politische Debatte geführt werden. Mit allen über alles. Wer sich außerstande sieht, mit Rechtsradikalen über die Todesstrafe und die Internierung von Flüchtlingen oder die Holocaust-Gedenkstätte oder den angloamerikanischen Luftkrieg zu streiten, sollte schleunigst vom Parlament ins Grundbuchamt wechseln". Nun müßten sich die Beamten inzwischen im Grundbuchamt ziemlich drängeln, denn zu einer solchen Debatte war man nicht fähig gewesen. Weiter Horst Meier: "Dabei sind die Abgeordneten dieser Parteien noch das kleinere Problem. Schlimmer sind die, die solche nationalen Talente ohne Rücksicht auf Verluste wählen. Eine Partei kann man verbieten. Man kann aber Wählern nicht verbieten, die 'falsche' Partei zu wählen". Richtig gesprochen! Was also ist nicht in Ordnung daran, statt Wahlverbote diesen "rechten Rand", das "Trübe", abzufischen und die "kleinen Leute" anderswohin zu orientieren, nämlich zu einer demokratischen, republikbejahenden Partei, wie zum Beispiel der WASG/PDS?
vertan hat einen schönen Beitrag über des Innenminister Schönbohms politische Bigotterie geschrieben, daran erinnernd, daß man nicht auf Lafontaines Wortwahl allergisch reagieren dürfe, wenn man selbst eben noch vor der Danubia-Burschenschaft Vorträge gehalten hat: "Der Streit um Worte (...) wird langsam absurd, wenn der eine Wolf dem anderen mit dem Rudel droht."
Darf also Herr Lafontaine am rechten Rand im Trüben fischen gehen? Es ist wohl keine Frage des Dürfens. In unserem Politiksystem ist es das Bestreben der Politiker, vor Wahlen Wählerstimmen zu fischen. Was sollten sie auch sonst tun? Und täten sie es nicht, dann wären sie nicht länger Politiker. Sie machen Politik. Sie betreiben keine Politische Bildung . Das Geschäft der Politischen Bildung besorgen andere: die aus dem Erziehungssystem. Lafontaine muß fragen: Wie kriege ich den Wähler? Der Politiklehrer muß fragen: Wie kläre ich den (zukünftigen) Wähler über die politischen Verhältnisse auf? Man sieht: Die beiden Systeme haben nicht viel miteinander zu tun. Der Politiker fischt - mit trüben Methoden, mag sein, und das müßte nicht sein. Aber daß er fischen muß und dazu im Trüben, weil dort auch Fische sind, das kann man ihm doch nicht vorwerfen. Man müßte sich vielmehr Gedanken darum machen, was daran für die Lösung gesellschaftlicher Probleme ungünstig ist, daß das Geschäft der praktischen Politik so ganz und gar nichts mit dem Geschäft der politischen Aufklärung zu tun hat, ja, genauer gesagt, sich diese beiden Geschäftszweige offenbar spinnefeind sind.
Bild: Ivan Montero / fotolia

shift.

Weblog zu Schule und Gesellschaft

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Impressum

Suche

 

Archiv

Mai 2024
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 
 1 
 2 
 3 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
 
 
 
 
 

Aktuelle Beiträge

Nochmals danke
... für diesen Text als Erwiderung für ale jene, die...
bernd (Gast) - 25. Feb, 10:32
Hey, hab grad deinen...
Hey, hab grad deinen alten Blog wiedergefunden! Obwohl...
Karsten (Gast) - 2. Jul, 16:23
Wordpress
Hmm... warum ziehts denn immer alle zu Wordpress? Find...
Gerlinde (Gast) - 26. Jun, 09:56
Bin momentan Referendarin...
Bin momentan Referendarin in Baden-Württemberg und...
Anja (Gast) - 28. Apr, 12:07
Passiert hier in naher...
Passiert hier in naher Zukunft noch etwas oder wirst...
abschluss - 20. Mai, 17:45

Status

Online seit 6912 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 29. Jan, 11:54

Credits

Web Counter-Modul


Antisemitismus
Die Gegenwart der Vergangenheit
Eigene Papiere
Erziehungssystem
Gesellschaftstheorie
Kultur
Lernen
Neue Medien
Ökonomie und neue Gesellschaft
Politik
Rechtsextremismus
Schulentwicklung
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren