Dienstag, 2. Oktober 2007

Administrative Antworten

Gerade ging mir wieder der gute Satz von Einstein durch den Kopf:

"Probleme können nicht mit den gleichen Denkweisen gelöst werden, die sie verursacht haben."

Da finde ich bei Hokey ein krasses Beispiel aus der Praxis, das diesen Satz aufs beste bestätigt. Der Referendar, von dem die Bildungsadministration einiges zu lernen hätte, weist auf den Widerspruch hin, den das System mit seiner Logik beim Lösungsversuch der selbstgemachten Probleme erzeugt: Einerseits werden zur Lösung des Problems ungeeigneter Lehrer (selbst erzeugt durch schlechte Lehrerausbildung) Eignungstests für Lehramtsstudenten gefordert - andererseits versucht man, den Lehrermangel (selbst erzeugt durch Rotstiftpolitik) zu beheben durch Einstellung nicht ausgebildeter Lehrkräfte. Wer solche Widersprüche in der Problemlösung erzeugt, der darf nicht mehr an der Lösung beteiligt werden! Und der Einsteinsatz wäre zu ergänzen: Probleme können nicht mit den gleichen Systemstrukturen gelöst werden, mit denen sie geschaffen wurden.
An der Problemlösung beteiligt werden müssen stattdessen die eigentlichen Lösungsprofis: die Akteure der Praxis, nämlich die Lehramtsstudenten, die Referendare und die Lehrer.

Freitag, 28. September 2007

Anstand, Courage & Co

Jetzt ist es offenkundig: Ein Sonntagsreden-Appell an den Anstand demokratisch denkender Bürger und die bloße Aufforderung zur Zivilcourage reicht überhaupt nicht hin, um den Rechtsextremismus zu bekämpfen.
Diese Lehre vor allem ist der große Gewinn, der aus dem beherzten Engagement des Bürgers Stefan Garmshausen zu ziehen ist, der dem NPD-Kader vor einem Schultor in Waren an der Müritz kurzerhand das Propagandamaterial aus der Hand schlug.

Öffentlich in einer breiten Debatte zu diskutieren ist:
  • Wie muß zivilgesellschaftliches Eingreifen aussehen angesichts des Legalitätskurses der NPD? Die Aktivisten der NPD sind inzwischen sehr genau darin geschult, was sie tun und sagen dürfen, ohne sich strafbar zu machen. Diese Strategie muß man kennen und eine eigene Verhaltensstrategie parat haben, um nicht in die Falle zu tappen, die die NPD damit den "Anständigen und Couragierten" gestellt hat, damit sie sich selbst als Opfer von Übergriffen auf ihre Personen, Sachen und Freiheitsrechte präsentieren kann.
  • Wie müssen sich die Lehrer einer Schule präparieren, um mit dem, was vor den Toren ihrer Schule mit ihren Kindern und Jugendlichen geschieht, adäquat umgehen zu können? Die Lehrer der Schule in Waren haben sich implizit für nicht zuständig – und damit eigentlich ihren pädagogische Bankrott – erklärt.
Die "Schulhof-CD" der NPD und die Art und Weise, wie die NPD Kinder für ihre menschenfeindliche Sache wirbt, ist seit langem bekannt. Die Lehrer müssen dieses Material kennen! Es gibt "Argumentationshilfen" und Unterrichtsvorschläge dazu. Aber es ist nicht nur Sache der Politiklehrer, im Schulhaus damit Unterricht zu machen. Das ganze Kollegium muss sich darüber austauschen und eine gemeinsame Strategie der Intervention entwickeln. Wenn ein NPD-Kader mit Material vor der Schule auftaucht, dann ist das eine hervorragende Lerngelegenheit, die viel mehr Lernmöglichkeiten bietet als jede Politikstunde im Stundenplan! Die Lehrer müssen aus der Schule herauskommen und sich mit ihrer ganzen Person ins Leben einmischen.
Sinnvoll einmischen kann man sich aber nur, wenn man den Gegner und die Situation gut kennt. Wenn man weiß, welches Programm die NPD hat - und daraus möglichst auch wörtlich zitieren kann! Wenn man weiß, wie ihre Strategie aussieht, und wie sie sich taktisch verhält. Und wenn man genau weiß, was man argumentativ und im Interesse des eigenen Lebens dagegen setzen muß. Ein überzeugendes Streitgespräch der Lehrer mit dem NPD-Aktivisten vor ihrem Schultor um das, was die NPD aus Deutschland machen möchte, und darum, was das für die Kinder bedeuten würde, wenn die Pläne der NPD Realität würden – das ist von den Erziehern unserer Kinder zu fordern. Nicht darum, den NPD-Mann zu überzeugen, sondern darum, den Kindern mit dem eigenen Engagement vorzuführen, welche Gründe auch der Lehrer selbst hat, dieses Programm und diese Partei zu bekämpfen.

Auch nachholend kann die Schule jedoch noch produktiv mit diesem Vorfall umgehen. Z.B:
  • eine Veranstaltung, eine Konferenz des Kollegiums darüber, wo die Lehrer in der Sache unsicher und darum verständlicherweise an einem adäquaten pädagogischen Umgang mit solchen Ereignissen gehindert sind; welche Art Fortbildung sie darum bräuchten usw.;
  • eine Veranstaltung für die gesamte Schulcommunity zur Entwicklung einer demokratischen Schulkultur;
  • eine Dilemma-Diskussion über demokratisches Handeln als Podiumsveranstaltung, vorbereitet und durchgeführt von einer Schülergruppe mit Experten
"Das wichtigste Curriculum des Lehrers ist seine eigene Person." (Hartmut von Hentig).

Das zu begreifen und danach zu handeln, wäre schon sehr gut. Aber auch das reicht noch nicht. Denn die Wahlkampfstrategie und die Argumente der NPD sind keine magische Verführung, die man bloß entzaubern müßte. Der "Kampf um die Köpfe" kann für die NPD nur darum zuweilen aufgehen, weil sie reale Problemlagen anspricht. Weil die NPD auf etwas zu antworten scheint, was dringend nach einer Resonanz verlangt, die offenbar bisher ausgeblieben ist – im Unterricht der Schule nicht gegeben wurde. Auf diese Probleme muß Schule reagieren; sie darf die Formulierung der Probleme und die Antworten auf die Probleme nicht der NPD überlassen. Welche Probleme das sind? Es ist vor allem die mangelnde Zukunftsperspektive der Kinder und Jugendlichen; es ist das Fehlen von herausfordernden Lerngelegenheiten, in denen die Schüler sich als wichtige Akteure erleben können für die Entwicklung ihrer Lebensumwelt; und es ist das Gefühl, mit dem eigenen Leben von der Schule allein gelassen zu sein.

Zurück zu dem couragierten Bürger in Waren: Ihm ist zu wünschen, daß der Staat einmal nicht bloß einerseits juristisch und andererseits mit politischen Sonntagsreden auf ein zentrales gesellschaftliches Problem reagiert. Ich würde ihm glatt ein Verdienstkreuz umhängen dafür, daß er einen wichtigen Aspekt eines großen Problems durch sein Handeln öffentlich gemacht hat.

Sonntag, 23. September 2007

Leidensdruck der Praxis und lustvolles Lernen - ein schönstes Wochenende auf dem Kongreß der Schulerneuerer

AdZ_Kongress-003

In der Hamburger Hochschule für Musik tagten auf Einladung des Archivs der Zukunft - Netzwerk an diesem herrlichen Wochenende auf dem Kongreß Treibhäuser & Co, dem "Ersten Treffen der Schulerneuerer", einige hundert Menschen, die sich professionell mit dem Lernen beschäftigen: Lehrer, Schulleiter, Hirnforscher, Erziehungswissenschaftler, Pädagogen aus dem "außerschulischen" Leben, Autoren, Philosophen, Künstler und Eltern aus der ganzen Republik, einige aus der Schweiz und aus Finnland.

Lustvoll war das Lernen nicht nur, weil die Tagungsorganisation für ein herrliches Sommerwetter gesorgt hatte, in dem der dichte und vielstimmige informelle Erfahrungsaustausch so gut gedeihen konnte. Es gab auch den Raum und die Zeit für diese so wichtigen Kontakte und Diskussionen in der ästhetischen Umgebung der Räume und des Geländes der Musikhochschule.

Viele Highlights!
Meine Highlights waren die Rede des pädagogischen Großmeisters Hartmut von Hentig; der Vortrag von Enja Riegel, der (Um-)Gründerin der Helene-Lange-Schule Wiesbaden; die "Arena" zum Thema Lehrerteams mit Experten aus teamerprobten Schulen, in der unter der Moderation von Wolfgang Harder, dem ehemaligen Schulleiter der Odenwaldschule und Herausgeber von Blick über den Zaun, die Teilnehmer mit den Experten in ein intensives Gespräch kommen und ihre Praxisprobleme diskutieren konnten; ein interessanter Vortrag von Andreas Weber, Biologe und Philosoph, zum Thema "Selbstorganisation und Autopoiesis" und die daran anschließende lebendige Diskussion; das Buch von Jesper Juul "Das kompetente Kind", in das ich gestern Abend versank, weil ich seinen Vortrag verpaßt hatte; die überraschenden Begegnungen mit einem Vertreter von Krätzä, mit Lehreraus- und Fortbildnerinnen und mit mir bisher unbekannten lokalen Kollegen, mit denen sofort Kooperationen verabredet werden konnten.

Das ganz besondere unter all meinen Highlights war jedoch der hinreißende Vortrag des Neurobiologen Gerald Hüther "Kinder und Jugendliche brauchen Herausforderungen - Die Schulen auch". Beeindruckend war vor allem die Entfaltung der Argumentation anhand einer Fülle von empirischen harten Fakten der Hirnforschung, die belegen, daß wir eine radikal neue Lernkultur in der Schule brauchen: eine Schule, die Wachstumsbedürfnis und Autonomie respektiert statt zu demütigen; eine Schule, die den Schülern Herausforderungen und echte Probleme zu lösen erlaubt, statt sie mit "Stoff" vollzuschütten; eine Schule, die sich als Lernzentrum in ihrer Kommune versteht, von wo aus die Schüler an ihrem Wohnort problemlösend intervenieren und ihn mitgestalten können; und eine Schule, in der die Schüler befriedigende, wertschätzende Beziehungen erleben.
Für alle, die das Unglück hatten, diesen Vortrag zu verpassen:
Die vielen Powerpointfolien sind zwar nicht der Vortrag. Aber ein spannender Teil davon. Es gibt sie auf der Website des AdZ-Netzwerkes sofort zum Runterladen.
Aussagen auf dem Kongreß, die mein Gehirn die nächste Zeit umtreiben werden:

"Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit gehabt zu haben."

"Alles Leben ist Problemlösen."

"Probleme können nicht mit den gleichen Denkweisen gelöst werden, die sie verursacht haben."

"Der Kernpunkt für eine neue Schule ist die neue Arbeit der Lehrer"

"Gute Pädagogik muß beides zusammenbringen: Fähigkeiten zum Überleben einerseits - und Wissen, wozu, andererseits."

"Die Verwaltung nie um Erlaubnis fragen, sondern machen!"

"Wettbewerb bringt keinen Fortschritt, keine Entwicklung, keine Neuschöpfung - auch nicht in der Biologie. Wettbewerb bringt nur Hochspezialisierung und Verengung in Nischen."


Und wie - so fragt die Lehrerfortbildnerin - kriegt man jetzt die Lehrer dazu, sich all diese bahnbrechenden neuen Erkenntnisse anzueignen, die alte Praxis zu verlassen und die pädagogische Wende zu vollziehen?
Im Einklang mit eben diesen Erkenntnissen: Bestimmt nicht, indem man es ihnen von oben (Schulbehörde, Ministerium) befiehlt oder von der Seite (beständiges Kritisieren und Beschimpfen in den Massenmedien) erzwingt. Sondern nur, indem man es ihnen ermöglicht, einen Schritt aus ihrem bisherigen Tätigkeitssystem hin zu einer selbstbeobachtenden Distanz zu tun, indem man ihnen die Zeit gibt, zur Besinnung zu kommen. Und zwar zur Besinnung in erster Linie nicht darüber, wie schlimm sie doch mit den Kindern umgehen, sondern zu der Frage: Wie geht es eigentlich mir mit meiner Arbeit? Was habe ich mal gewollt, welche Visionen (angeblich alles Illusionen und Traumtänzereien) hatte ich und könnte ich wieder entdecken? Wie müßte Schule sein, damit ich mich als Lehrer darin wohlfühlen kann?
Diese letzte Frage zum Ausgangspunkt von Veränderung zu machen, war zum Beispiel eines der wichtigsten Geheimnisse, die hinter der erfolgreichen Erneuerung der Helene-Lange-Schule Wiesbaden stecken. Und viele erfolgreiche Reformschulen, das zeigte sich im Erfahrungsaustausch mit ihren Vertretern, bekundeten übereinstimmend: Unser Motiv zur pädagogischen Wende war der Leidensdruck.

Und wie kann eine Veränderung beginnen?
Reinhard Kahl hatte in seinem Schlußwort das Bild des Seiltänzers im Angebot: Es kommt auf zwei Dinge entscheidend an:
Kleine, sorgfältige, präzise Schritte und dabei den Blick zum Horizont. Wenn man den Blick auf die Füße richtet, stürzt man ab, und ebenso, wenn man die Füße nicht genau fühlend voreinander setzt.

Die gute Nachricht: Der Kongreß war die notwendige Face-to-Face-Begegnung so vieler Experten der Praxis. Aber im Gegensatz zu vielen anderen Tagungen ist das Ende der Veranstaltung keineswegs das Ende des Prozesses, miteinander zu sprechen, miteinander zu arbeiten, voneinander zu lernen: Die Netzplattform der Schulerneuerer sorgt für Anschluß und Kontinuität - Das Internet ist ein Segen. Aber das Medium tut es nicht von alleine. Man muß es aktiv benutzen.

Donnerstag, 13. September 2007

Sprachkompetenz

Roeros

HPIM0234

Fjaell

Vingelen

In Norwegen sprechen fast alle Menschen fließend Englisch - der Zugschaffner auf der eingleisigen Bahnstrecke, die Verkäuferin in der Bäckerei einer kleinen Stadt aus Holzhäusern, die verschlafene Schülerin morgens um halb sieben auf dem Weg zur Schule, der Schafhirte in der Hütte im Fjäll, der seine Schafe zusammensucht, weil der Wolf umgeht.
Der Dompropst wechselt von fließendem Englisch in fließendes Deutsch, als er unsere Herkunft erfährt. Die Unterhaltung geht halt besser dann. Und ja: Es wäre bekannt, daß die Deutschen nicht gut Englisch sprächen.
Bei uns gibt es Professoren, die keine internationale Fachliteratur zur Kenntnis nehmen können, wenn sie nicht ins Deutsche übersetzt ist.

Dienstag, 28. August 2007

Wörterbuch der Schulsystemkrankheiten

  • Evaluitis - viel Testen, keine Folgerungen für die Praxisänderung daraus ziehen (Georg Lind)
  • Bulimie-Lernen - viel reinstopfen, gleich wieder ausspucken (Reinhard Kahl)
  • Weißer-Riese-Pädagogik - Lehren nach der Vorstellung, daß durch Unterricht "falsches" Wissen durch "richtiges" ersetzt wird - analog zu dem Waschmittelslogan: "Zwingt grau raus und weiß rein" (Kurt Edler)
  • Ostereierpädagogik - Lehren nach dem Prinzip, daß die Schüler finden, was der Lehrer zuvor versteckt hat - vermeintlich selbständiges oder gar forschendes Lernen (auch bekannt als "fragend-entwickelndes Lernen", immer noch eine Hauptform des Unterrichtens, besonders in den Gesellschafts-Fächern)
  • Oberkellnergedächtnis - Wenn die Klassenarbeit geschrieben ist / die Rechnung bezahlt ist, wird das Thema gelöscht / der Tisch abgeräumt, um Platz zu machen für ein neues Thema / für neue Gäste.
Ergänzungen willkommen.

Dienstag, 21. August 2007

It's the economy

Ja, es ist eine Schande. Und jetzt weiß ich auch wieder, warum ich nichts gegen "die Wirtschaft" an sich habe. Denn, wenn auch sonst nichts hilft, dann ist es zuletzt die Ökonomie, die zur gesellschaftlichen Durchsetzung eines leidlich akzeptablen Sozialverhaltens in Deutschland zwingen könnte:

"Der Unionsfraktionschef im Bundestag, Volker Kauder (CDU) bezeichnete die Hetzjagd als eine „Schande“. Es mache ihn sehr traurig, dass niemand der Beistehenden eingeschritten sei und dass es an Zivilcourage gemangelt habe, sagte Kauder der Frankfurter Rundschau. Der Vorfall sei zudem ein Rückschlag im Bemühen um die besten Fachkräfte weltweit. „Gerade weil wir zurzeit diskutieren, wie wir ausländische Fachkräfte zu uns holen, ist dies eine ganz schlimme Botschaft.“

§129a, die Wissenschaft und die Demokratie im Internetzeitalter

Das "Ende der kritischen Wissenschaft" befürchtet der Soziologe Hartmut Häußermann, wenn Verhaftungen wie die des Soziologen Andrej H. und eines Politologen normal werden:

"Dann ist die kritische Wissenschaft am Ende! Die Forschung war noch nie so öffentlich wie heute, und das ist gut so. Es gibt keine Hausarbeit, kein Referat mehr, das nicht über das Internet geschickt wird. Dadurch kann uns aber jede Verfolgungsbehörde fast völlig kontrollieren. Eigentlich sollten sich deshalb die Behörden angemessen zurückhalten. Das Gegenteil ist der Fall, wie wir jetzt bei Andrej H. sehen: Ein Richter, der das Wort Gentrifikation zum ersten Mal hört, hält dies - ohne sich zu informieren - für eine konspirative Sache. Damit wird tendenziell die ganze Wissenschaft als konspirativ verdächtig. Die Freiheit und Öffentlichkeit der Wissenschaft gehört aber zu den Prinzipien eines demokratischen Gemeinwesens."

Zu Recht empört! Und wer es ebenso ist, der sollte auch den offenen Brief an die Generalbundesanwältin beim Bundesgerichtshof unterschreiben.
Das ist dann die Ebene des politischen Handelns.

Es gibt aber auch noch eine zweite Ebene, auf der man – vor allem wenn man Sozialwissenschaftler ist – analytisch und jenseits der Empörung nachdenken sollte:
"Kritische Wissenschaft" ist natürlich nie am Ende. Wissenschaft wird und wurde immer behindert – historisch und lokal mal mehr, mal weniger. Das Ausmaß der praktisch erlaubten Demokratie wird täglich neu ausgehandelt. Es ist beweglich, reduziert bzw. erweitert sich ständig. Aber ein Ende der Wissenschaft durch eine einzige Rollback-Erscheinung? (Ich lasse absichtlich den Zusatz "kritisch" weg, denn wenn Wissenschaft wissenschaftlich ist, schafft das Attribut "kritisch" entweder einen Pleonasmus, oder es entlarvt die sich damit bezeichnenden Wissenschaftler als ideologisch beschränkt.)
Den Versuch der Sicherheitsorgane, "geistige Brandstifter" im Hintergrund politischer Kriminalität zu finden und zu verhaften, gab es auch schon immer und natürlich auch vor dem Internetzeitalter. Trotzdem ist durch das neue Medium auch an dieser Frage wieder das Problem "Sicherheit und Freiheit" neu zu regeln, d.h. unter demokratischen Bedingungen: neu zu verhandeln. Denn Interessant ist ja vor allem, daß das Medium Internet Wissen(schaft) allen zugänglich macht. Zum eigenen Gebrauch und natürlich auch zum kriminellen Mißbrauch und zum Macht-Mißbrauch. Das Internet eröffnet für beide Entwicklungen einen Horizont neuer Möglichkeiten - sowohl für die Expansion demokratischer Freiheit als auch für die Knebelung derselben. Freiheit der Wissenschaft – Prinzip der Demokratie? Ein weiteres schwieriges Feld, wenn man von der normativen zur analytischen Ebene übergeht.
Dem Haftrichter und seinen unglaublichen Begründungen für die Inhaftierung von Andrej. H. jedenfalls kann man weder wissenschaftliche, noch Medien-, noch Demokratiekompetenz attestieren.

Donnerstag, 5. Juli 2007

"Eine Schule für Alle" e.V. in Hamburg

In Hamburg hat sich der Verein "Eine Schule für Alle" als Träger der Volksinitiative gleichen Namens gegründet. Er beruht auf der hamburger_erklaerung (pdf, 141 KB) vom Oktober 2006.
Hier die Pressemitteilung zur Gründung des Vereins:

Am 28. Juli [Juni?] 2007 hat sich der Verein "Eine Schule für Alle" e.V. als
gemeinnütziger Verein konstituiert. Zur 1.Vorsitzenden wurde Karen
Medrow-Struss, zur 2. Vorsitzenden wurde Elke Andresen gewählt.
Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt die Selektion im Hamburger
Schulwesen zu beseitigen und einen gemeinsamen Schulbesuch aller
Kinder in einer Schule anzustreben. Wir nehmen die Mahnung des
Sonderbotschafters der Uno, der Unicef und der OECD ernst, dass in
Deutschland das Menschenrecht auf Bildung verletzt wird, da
hierzulande nicht die Leistungsfähigkeit eines Menschen sondern seine
soziale Herkunft über seine Bildungschancen entscheiden. Das
gegliederte Schulwesen des 19. Jahrhunderts entspricht der
Klassengesellschaft des 19. Jahrhunderts. Eine demokratische
Gesellschaft, in der alle Staatsbürger gleichberechtigt sind, braucht
eine moderne demokratische Schule.. Das geplante Zwei-Säulenmodell in
Gymnasium und Stadtteilschule entspricht einer Spaltung der
Gesellschaft, die wir nicht wollen.
Deshalb setzt sich der Verein für eine Schule für Alle ein, in der
alle Kinder gemeinsam unterrichtet werden. Die Erfahrungen aus dem
Ausland zeigen, dass eine solche Schule möglich ist, dass sie
leistungsfähig ist und dass sie Bildungschancen gerecht verteilt.
Der Verein wird die Volksinitiative "Eine Schule für Alle" unterstützen.
Am 30. Oktober 2007 wird es zum Start der Volksinitiative eine
Auftaktveranstaltung geben, die vom Verein zusammen mit den
Bündnispartnern ausgerichtet wird. Aufgrund der umfangreichen
Unterstützung, die wir bereits schon erfahren haben, sind wir sicher,
dass wir mit unserer Initiative Erfolg haben werden.

Erfolg ist der Initiative unbedingt zu wünschen. Wer dem Verein in Hamburg beitreteten möchte, kann hier einen aufnahmeantrag_verein (pdf, 16 KB) stellen.
Nur in 17 Ländern der Welt existiert noch ein selektives Bildungssystem. 16 davon liegen in der Bundesrepublik Deutschland. Inzwischen schießen die Initiativen zur Überwindung des überkommenen Systems wie Pilze aus dem Boden. Die Hoffnung, daß dessen Tage endlich gezählt sind, ist darum vielleicht keine Illusion mehr.

Aktualisierung 13.2.08: Hier die Website des Vereins Eine Schule für Alle

Montag, 2. Juli 2007

Die Intelligenz der pädagogischen Praxis stärken

Eine Verbesserung der Schulen stellen sich viele häufig so vor, daß geeignete Anweisungen "von oben" das Schiff herumreißen, indem diese von den Praktikern unten einfach ausgeführt werden. Daß das nicht funktioniert, beweist der relative Misserfolg solcher jahrzehntelanger Reformbemühungen - oft widersprüchliche zudem - in der Praxis. (Mal ganz abgesehen davon, ob und wann diese Maßnahmen überhaupt "geeignet" sind.) Organisationslernen bzw. Schulentwicklung ist keine Top-Down-Veranstaltung, die durch Implementation von neuen Instrumenten und "Methoden" per ordre de Mufti in Gang gebracht und gemeistert wird. Echte Transformation geschieht von unten. Sie wird durch die gemeinsamen Bemühungen der Praktiker eines Tätigkeitssystems - hier also einer Schule - in Gang gebracht und in vielen Jahren Arbeit vollendet - und auch das niemals ganz. Dabei wird jede Schule im Prozeß ihrer Neugestaltung gleichsam neu erfunden.
Das heißt natürlich nicht, daß jede Schule, die sich verändern möchte, das Rad neu erfinden und alle Erfahrungen der Reformpädagogik selbst erlebend wiederholen müßte. Denn "Neue Schulen" gibt es in Deutschland viele - und manche davon sind sogar schon recht alt (Blick-über-den-Zaun, die Website, auf der diese Schulen sich organisieren, ist das Nachschlagwerk dazu.) Andererseits funktioniert es offenbar auch nicht so, daß die großen Vorbilder - die "Treibhäuser der Zukunft", wie Reinhard Kahl sie nennt - einfach per Nachahmung transferiert werden könnten. Weder Strukturen noch Instrumente und schon gar nicht das Erfahrungswissen und die innere Einstellung der Lehrer sind unmittelbar und direkt transferierbar. Es braucht Raum für die eigene Erfindung ebenso wie geeignete Strukturen, in denen Erfahrungswissen gesammelt und kommuniziert werden kann. Die Strukturen für einen solchen organisierten Erfahrungsaustausch bietet nun das vor zwei Wochen gegründete Archiv der Zukunft - Netzwerk.

"Die Gründungsversammlung wählte Reinhard Kahl zum Vorsitzenden des Vereins. Das Netzwerk wurde nach längerer Vorarbeit von gut 30 Gründungsmitgliedern ins Leben gerufen. Sein Ziel ist es, die Intelligenz der pädagogischen Praxis zu stärken. Dazu gehören diese Internetplattform sowie Arbeitstreffen und große Veranstaltungen. Die Plattform www.adz-netzwerk.de wird als Archiv pädagogischer Erfahrungen und nützlicher Materialien ausgebaut. Sie wird ein Ort für den Austausch und für Debatten sein. Dort wird auch über aktuelle Ereignisse informiert. Schließlich werden Porträts und Profile von Akteuren präsentiert. Der Verein versteht sich als Netzwerk von Akteuren und legt großen Wert auf seine Unabhängigkeit. Die Finanzierung soll daher über Vereinsbeiträge, Spenden und Sponsoren erfolgen"

Es lohnt sich für alle Schulerneuerer, an diesem Austausch mitzuwirken, indem sie Mitglieder des Netzwerks werden und/oder an dem vom Netzwerk ausgerichteten Kongress Treibhäuser & Co vom 21. - 23. September in Hamburg teilnehmen.
Aus Reinhard Kahls Feder stammt der nicht nur dem Inhalt, sondern auch der Form nach wunderbar zu lesende Text Die Intelligenz der pädagogischen Praxis anläßlich der Gründung des Netzwerks.
"Was also ist diese Intelligenz der Praxis? Sie ist ein endloses Gewebe aus Geschichten und Gesprächen, aus Vorschlägen und Erfahrungen."

Mittwoch, 9. Mai 2007

Integriertes Schulsystem

Wider alle Vernunft hält das Kultusministerium in Baden-Württemberg zäh an der "Erfolgsgeschichte des gegliederten Schulwesens" (Annette Schavan) fest. Jetzt wurde solche Schildbürgerei 100 Grund- und Hauptschulleitern zu bunt. Sie schrieben einen offenen-Brief-an-Kultusminister-Helmut-Rau (pdf, 103 KB) und forderten die Abkehr vom selektiven Schulsystem und den Aufbau eines echten integrierten Schulwesens, wo sich das System an den Schüler anpasst - wie in der Grundschule, in der die Lehrer durch die heterogene Zusammensetzung der Schülerschaft gezwungen sind, individuell zu fördern, statt auszulesen.
Das Papier ist ein sehr interessantes Dokument vor allem wegen der Ansammlung professioneller Argumente - gerichtet an eine entweder in der Sache völlig ahnungslose oder aber bewußt realitätsignorante politische Entscheidungsinstanz. Gefragt wird der Kultusminister u.a.:

• Kann es sein, dass Veränderungen blockiert werden, weil es Politikern an Mut fehlt, notwendige Schulstrukturveränderungen gegen den Widerstand von Lobbyistengruppen durchzusetzen, die nach wie vor keine gesamtgesellschaftliche Verantwortung übernehmen wollen, sondern weiterhin auf ihre „Pfründe“ bestehen?

• Deutschland beziehungsweise Baden-Württemberg hat ein weltweit einzigartiges Schulsystem, das die Kinder nach nur vier gemeinsamen Schuljahren auf drei hierarchisch angeordnete Schularten verteilt.
Sind deutsche Kinder anders „gestrickt“ als die restlichen Kinder dieser Erde?


Nun sind wir sehr gespannt, welche Antworten aus dem Ministerium kommen!

Freitag, 4. Mai 2007

Appell SCHULE IST UNSERE SACHE - lesen, unterzeichnen, weiterverbreiten

Der Verbund reformpädagogischer Schulen Blick über den Zaun hat in seiner Erklärung von Hofgeismar das Leitbild einer guten Schule und einen Appell an die Öffentlichkeit formuliert.
Hunderte Bildungsakteure, die im letzten halben Jahr in der Virtuellen Akademie eine lebhafte Debatte über die notwendigen Veränderungen der Schule in Deutschland führten, haben sich diesem Appell angeschlossen.
Der Unterstützertext kann hier eingesehen und unterzeichnet werden.
Bild: Ivan Montero / fotolia

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