Donnerstag, 6. April 2006

Schulentwicklung oder Schulkollaps – das sind die Alternativen

"Es klingt wie eine Nachricht aus dem Bürgerkrieg", beginnt der Bericht von zeit-online über die Rütlischule, deren Schulleitung die Verantwortung über die Schule letzte Woche an die Behörde zurückgegeben hatte. Schulehalten kann nur noch mittels Polizeigewalt stattfinden: Lehrer müssen durch die Polizei vor Schülern und Schüler vor sich selbst geschützt werden; andererseits müssen Schulschwänzer gegen ihren Willen von der Polizei zum Schulbesuch verhaftet werden. Schule ist wieder da, wo sie im 19. Jahrhundert begonnen hat: Als Kopie von Kasernen und Fabriken. Während Politiker sich überrascht und erschrocken darüber geben und mit hilflosen oder hektischen adhoc-Maßnähmchen reagieren, wissen Lehrer und Bildungsexperten, die diesen Namen verdienen, nicht erst seit dem ersten Schulkollaps, wohin die jahrzehntelange Verweigerung und das Unvermögen der Bildungspolitiker, die deutsche Schule aus den Strukturen des Industriezeitalters in eine Schule der Informationsgesellschaft weiter zu entwickeln, führt. Erst wenige Wochen liegt die empörte Reaktion unserer sich selbst entmachtenden Bildungsministerin angesichts der Warnungen des UN-Sonderbauftragten Munos Vilalobos zurück.

Dabei sind nicht nur Zusammenbruch und Clash des deutschen Schulsystems längst und vielfältig prognostiziert worden (Erfurt schon vergessen?): Es liegen auch schon seit langem genügend Vorbilder und Instrumente für die überfällige Rekonstruktion des Bildungswesens bereit, die aus dem Desaster des heruntergekommenen selektierenden Systems herausführen würde. Um einmal nicht vom finnischen, schwedischen oder kanadischen Modell zu sprechen – denn so langsam kommt man sich dabei wie eine tibetische Gebetsmühle vor - : Vielversprechende Ansätze gibt es auch in Deutschland selbst. Jeder engagierte Elternvertreter kennt die anschauliche DVD-Dokumentation von Reinhard Kahl – "Treibhäuser der Zukunft". Auch die dort dokumentierten Ansätze sind beileibe keine neuen Erkenntnisse, denn sie setzen nur fort, was schon vor 15 Jahren – zur Zeit des finnischen Reformbeginns – von Kahl in seinen Videodokumentationen "Lob des Fehlers" vorgeführt worden war: Lernen für die Gegenwart und Zukunft muß im Informationszeitalter unter ganz anderen Bedingungen stattfinden: individualisiert, kollektiv, selbstbestimmt, projektförmig forschend und mit dem Computer. Und das nicht nur für die Kinder der gesellschaftlichen Eliten, sondern für alle.


Administrative Schulentwicklungsversuche nach dem beliebten deutschen Top-Down-Implementations-Modell – die Bildungspolitik beschließt, die Behörde "bricht in Maßnahmen herunter" und befiehlt den Lehrern, was sie und wie sie ab jetzt ihre Tätigkeit auszuführen haben – sind beinahe jedes Schuljahr neu auf die Schulen heruntergeregnet. Bewährt hat sich davon kaum etwas, stattdessen hat es Resignation und Verbitterung erzeugt. Die einzige Alternative besteht darin, daß sich die Schulen selbst entwickeln.
Ein Beispiel für einen potenten Ansatz zur Selbstentwicklung – einer Rekonstruktion von Schule durch diejenigen, die in ihr arbeiten - konnte man gestern in Hamburg kennen lernen:

Schüler, Eltern, Lehrer entwickeln ihre Schule:

Aushandlungsgruppe und Schülerfeedback


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Max Wolter und Franz Kißig, zwei der vier Gründer der ONO-Systems stellen ihre Erfindung vor

Mehr als 80 Eltern, Lehrer, Schulleiter, Lehrerfortbildner und Schüler aus Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen kamen am 5.4.06 in der Aula des LI zusammen, um sich über Funktionsweise und Erfolge zweier neuer Instrumente zur demokratischen Schulentwicklung zu informieren.
Zwei Schüler der Otto-Nagel-Oberschule (ONO) in Berlin-Biesdorf waren mit ihrem Schulleiter, Lutz Seele, und dem Berliner Schulentwicklungsberater Dr. Marcus Hildebrandt auf Einladung des Referats Gesellschaft aus Berlin angereist, um das Produkt ihrer Schülerfirma 'ONO-Systems' vorzustellen: eine Software zur Selbstevaluation der Schule durch Schülerfeedback. Die Schüler ließen ihr hochleistungsfähiges Instrument, das in schnellster Zeit Hunderte von digitalen "Fragebögen" aufnehmen und in einer Grafik auswerten kann, direkt vom begeisterten Publikum testen. Die beeindruckende Erfindung, die preisverdächtig im Jugend forscht–Wettbewerb sein dürfte, ist das Ergebnis eines demokratischen Schulentwicklungsprozesses durch das Instrument der Aushandlungsgruppe des Otto-Nagel-Gymnasiums.
Die Aushandlungsgruppen, - so erläuterte der Schulentwicklungsberater Hildebrandt - sind paritätisch zusammengesetzte Arbeitsgruppen aller Beteiligten einer Schule: Schüler, Lehrer, Eltern und auch der sonstigen Mitarbeiter einer Schule. Sie beruhen auf freiwilliger Mitarbeit ihrer Teilnehmer, sind nicht mit Gremien zu verwechseln, sondern arbeiten diesen zu, indem sie Vorschläge zur Problemlösung und zur Lösung von Entwicklungsaufgaben – wie etwa die Formulierung eines Schulleitbilds - unter den Gruppen einer Schule aushandeln. Wichtig ist dabei die Rolle einer Beratung von außen, die professionell bei der Aushandlung hoch konsensfähiger Lösungen hilft. Die Vorschläge der Aushandlungsgruppe werden nach einer breiten Diskussion der Schulgemeinde meist von den Gremien in Beschlüsse verwandelt. Der große Erfolg in der Umsetzung der Entwicklungsmaßnahmen liegt in deren Zustandekommen als Produkt eines von allen funktionalen Gruppen getragenen aktiven Prozesses, in dem alle Stimmen ernst genommen werden.
Auch in Hamburg gibt es an einzelnen Schulen eine Kultur des Schülerfeedback, vor allem in beruflichen Schulen. Die Ausgabe der Zeitschrift 'Hamburg macht Schule' 05/03 ist mit mehreren Aufsätzen und Berichten dem Thema Schülerfeedback gewidmet. Ein Teil dieser Texte kann vom Hamburger Bildungsserver herunter geladen http://www.hamburger-bildungsserver.de/innovation/thema/feedback/ oder im Landesinstitut beim Referat Gesellschaft gedruckt bestellt werden.
Die ONO-Schülerfirma http://www.ono-systems.de ist unter kontakt@ono-systems.de erreichbar und gibt auf Anfrage gerne die Software zum Schülerfeedback sowie Support.

In der Diskussion über den Zusammenhang zwischen Aushandlungsrunde und Feedback-Instrument, entwickelt durch die jungen Erfinder der Schule, stellten sich einige entscheidende Faktoren für ein Gelingen der Schulentwicklung heraus. Dazu muß der Prozeß, in dem sich das Schülerfeedback als das wichtigste Produkt des ONO-Entwicklungsbeginns herausstellte, kurz skizziert werden:
Die Aushandlungsrunde war unter den Prinzipien Konsens und Weiterentwicklung von Stärken begonnen worden. Gerade nicht Probleme, Schwierigkeiten und Konflikte sollten der Ansatzpunkt sein, sondern das Anknüpfen an bestehenden Stärken der Schule und die Entwicklung von Ideen, über die unter allen funktionalen Gruppen der Schulcommunity schnell Einigkeit zu erziehlen war. In einer ersten "Wunschlistenrunde" wurde daher die Idee der Eltern, ein Instrument zum regelmäßigen Schülerfeedback zu entwickeln, als nicht konsensfähig aussortiert, da die Lehrer sich bis auf zwei Ausnahmen dagegen aussprachen. Andere, konfliktfreie Instrumente – aber wohl gerade deswegen auch die mit geringem Entwicklungspotential – wurden stattdessen favorisiert, wie etwa die Einrichtung eines Kummerkastens.
Dabei wäre es vermutlich geblieben, hätte nicht der Erfinder der Methode der Aushandlungsgruppe, Marcus Hildebrandt, als externer Begleiter und kluger Supervisor des Aushandlungsprozesses ein Unbehagen darüber verspürt, daß der dringende Wunsch der Eltern durch die Ablehnung der Lehrerschaft übergangen worden war. Er unterstützte die Eltern, ihren Wunsch nach Schülerfeedback aufrechtzuerhalten und eine Lobbytätigkeit zur Umstimmung der Lehrer zu entfalten. Dies bedeutete, daß die Eltern die Motive für die Ablehnung der Lehrer eruieren und Vorschläge dazu machen mußten, wie Schülerfeedback stattfinden könnte, ohne daß die Lehrer Angst vor einem Ranking (gute Lehrer-schlechte Lehrer) haben müßten. In diesem längeren Prozeß konnten die Lehrer schließlich umgestimmt und zur Annahme des Schülerfeedbacks als wichtigstem Outcome der Aushandlungsrunden bewegt werden, nachdem ihnen zugesichert wurde, daß kein Lehrer gezwungen sei, Schülerfeedback zu seinem Unterricht einzuholen, daß die Ergebnisse eines Feedbacks nicht an die Schulöffentlichkeit oder in die Hand der Schulleitung gelangen würden und daß der einzelne Lehrer darüber alleine entscheiden dürfe, was mit den Feedback-Ergebnissen anschließend geschehen solle. Das Feedback-Instrument konnte in die Entwicklung gehen.
Inzwischen nehmen immer mehr Lehrer am Schülerfeedback teil, und die erleichterten Stimmen dieser Lehrer, daß Schülerfeedback entgegen ihren anfänglichen Ängsten für sie selbst zu einem wichtigen Instrument zur Verbesserung ihres Unterrichts und ihrer Kommunikation mit den Schülern geworden sei, häufen sich.

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Zu lernen ist aus diesem Vorgang folgendes: Das Schülerfeedback als wichtigstes und potentestes Ergebnis der Aushandlungsgruppe war nicht durch Vermeidung von Problemen, Widersprüchen und Konflikten zu erhalten, sondern ist gerade aus den Widersprüchen, ihrer Artikulation und Kommunikation und einem offensiven Umgang mit ihnen entstanden. Damit die Aushandlungsrunden nicht zu relativ nutzlosen "Friede-Freude-Eierkuchen"- Runden werden, die sich aus Vermeidung von Konflikten nur mit dem Unproblematischen der Schule beschäftigen (Wozu wären sie dann überhaupt nötig?), ist eine kluge Methodologie und eine kompetente Begleitung von außen nötig, die hilft, die auftauchenden Widersprüche zur Sprache zu bringen, die nötige Konfrontation produktiv zu begleiten und den Prozeß zur Erfindung eines intelligenten Instruments, das gerade an den Widersprüchen ansetzt, um sie auf einer entwickelteren Stufe zu bearbeiten, mit den Beteiligten durchzustehen.
In dem Konzept der Aushandlungsrunde wurde dessen Schwachstelle – daß in ihm nur die Seite des Konsenses und der Stärken betont werden – ausgeglichen durch die kluge Beaufsichtigung und Gegensteuerung des Konzepterfinders in der praktischen Anwendung. Damit ist das Gelingen eines Prozesses nach diesem Konzept jedoch an die Person gebunden.
In einem Gespräch mit dem Konzeptentwickler Marcus Hildebrandt stellte sich heraus, daß die Methode der Aushandlungsgruppen sich noch in der Phase der Praxiserprobung befindet und zu einer organisierten Reflexion – von einer theoretischen Ausarbeitung ganz zu schweigen – noch gar keine Zeit war und bisher auch keine Ressourcen dafür akquiriert werden konnten. Da aber schon mehrere gelungene Schulentwicklungsprozesse in der Praxis und unter der Anleitung von Hildebrandt damit durchgeführt wurden, wäre dieser vielversprechenden Methode eine Weiterentwicklung und theoretische Unterfütterung sehr zu wünschen.
Dafür bietet sich ein schon seit vielen Jahren in Finnland in der Praxis bewährter und auch in der Theorie schon weit entwickelter Ansatz an, der gerade die Widersprüche zum Ausgangspunkt des Lernens – und auch des Organisationslernen – gemacht hat: Yrjö Engeström, Professor an der erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Helsinki entwickelt nach dem von ihm gefundenen Konzept des Expansive Learning und der Methodologie der Developmental Work Research an einem eigenen Institut, dem Center For Activity Theory And Developmental Work Research seit 15 Jahren erfolgreich Betriebe, Schulen, Krankenhäuser, Teile des finnischen Postwesens, u.a. Organisationen und Institutionen mehr. Gleichzeitig werden die Entwicklungsprojekte von ihm und seinem Mitarbeiterstab – weiteren Professoren und jeweils ca. 50 Doktoranden – mit wissenschaftlicher Forschung begleitet, daran die Theorie und Methodologie selbst weiter entwickelt und deren Ergebnisse wieder in die praktischen Entwicklungsprojekte zurückgespeist. In Engeströms Ansatz werden die Widersprüche eines Tätigkeitssystems als Triebkraft von Veränderungen aufgespürt, modelliert und analysiert, sodaß im kollektiven Entwicklungsprozeß mithilfe der Berater/Forscher bewußt damit umgegangen werden kann.
Die überaus anschaulichen Forschungsberichte der einzelnen Projekte, die gleichzeitig zur Darstellung und Erläuterung der Theorie des Expansiven Lernens dienen, sind in zwei Bänden mit 36 Aufsätzen in englischer Sprache in Deutschland zu haben. Ein MUST für alle, die im Bereich der Schulentwicklung praktisch oder/und theoretisch arbeiten und auf die avanciertesten international renommierten Konzepte nicht verzichten wollen. In Vorbereitung befindet sich eine deutsche Übersetzung der beiden Aufsatz-Bände, dessen erster Band mit 18 Aufsätzen 2007 in der Schriftenreihe von ICHS erscheinen soll.

Mittwoch, 8. März 2006

'Was "wir" nie sagen durften ...'

Bei Thomas Immanuel Steinberg heute entdeckt:
"Helmut Kohl soll dem iranischen Präsidenten Achmadi Nedschad beigepflichtet haben: Der Holocaust sei ein Mythos.
Iran Focus meldet, der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl habe Geschäftsleuten in Deutschland erzählt, er stimme mit Erklärungen des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadi Neschdad überein: Der Holocaust sei ein Mythos. Das habe die halb-offizielle Tageszeitung Jomhouri Islami am Montag, dem 6. März 2006 berichtet, die auf Farsi erscheint. Iran Focus ist ein westlich orientierter englisch- und französisch-sprachiger Internetauftritt. Die regierungseigene Jomhouri Islami behaupte, so Iran Focus, Kohl habe sich bei einem Gala-Diner mit iranischen Hoteliers und Unternehmern für „herzlich einig“ mit Ahmadi Nedschad erklärt. „Was Ahmadi Nehdschad über den Holocaust gesagt hat, war in unserer Brust... Seit Jahren wollten wir das sagen, aber wir hatten nicht den Mut, es auszusprechen.“"

weiter bei SteinbergRecherche

Montag, 6. März 2006

Teufelszeug

seien die Neuen Medien. Und: "Wenn jemand ... seinem elf-oder zwölfjährigen Kind etwas Gutes tun will, dann kaufe er ihm bitte keinen Computer". Und: "Wenn jeder wüsste, dass der Konsum von Bildschirmmedien langfristig dick und dumm und gewalttätig macht ... wären wir vorsichtiger im Umgang damit." Wer hier warnt - eigentlich schon droht -, das ist Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer, Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm und Leiter des von ihm gegründeten "Transferzentrums für Neurowissenschaft und Lernen". Die Zitate stammen aus einem Interview in Psychologie Heute.

Oje. Da ist in der Erziehung meiner Kinder wohl schon alles zu spät, denn sie verbringen schon viele Jahre fast jeden Tag oft Stunden mit den Neuen Medien. Merkwürdigerweise sind sie weder dick, noch dumm, noch gewalttätig. Sie haben sich offenbar nicht an die Untersuchungsergebnisse Spitzers gehalten, der meint, man könne Medien konsumieren. Ich weiß ja nicht, was dieser freundliche Herr mit seinen Medien macht ...
Wären meine Kinder noch klein und hätten sich nicht mit den - oder trotz oder wegen der? - Medien so gut entwickelt, würde ich mich von den drohenden Zukunftsvisionenen Spitzers vielleicht beeindrucken lassen, aber auch dann wäre mir vermutlich aufgefallen, daß an der Argumentation Spitzers irgendetwas nicht stimmen kann:
"Neueste Studien zeigen z.B.", so antwortet er im Interview, "dass der Fernsehkonsum im Kindesalter vorhersagt, ob jemand einen Universitätsabschluss bekommt oder in welchem Ausmaß er als Jugendlicher in der Schule versagt. Längsschnittuntersuchungen zeigen eine klare Kausalität: Ein größerer Konsum von Bildschirmmedien führt zu einem schlechteren Bildungsabschluss." Hm. Ich war in meiner Kindheit ein Bücherwurm, habe tage- und nächtelang gelesen und tue es auch heute noch - na klar! Zwar spricht man auch vom "Bücherverschlingen", aber man meint doch nicht wirklich, dass man die Bücher dabei verkonsumiert wie ein Schweineschnitzel. Und niemand ist je auf die Idee gekommen zu behaupten, dass ich trotz meines Büchermedienkonsums ein brauchbares Hochschulexamen gemacht habe.
Beim Lesen - damals noch in der Printversion - bin ich immerhin auch auf das Problem falscher Kausalbeziehungen gestoßen. Immer wieder - habe ich gelesen - würde derselbe Fehler gemacht: Wenn bei einer Populationsmenge x zwei Attribute a und b mit beidemale signifikant höheren Werten auftauchen als bei einer anderen Menge y - was sagt das über den Zusammenhang der beiden Attribute a und b aus? Antwort: Nichts, außer ihrem gleichzeitigen Auftreten. Schon gar nicht, dass die Zahlen von a die Ursache für die Zahlen von b sind. Das aber möchte uns Prof. Dr.Dr. Manfred Spitzer weismachen, wenn er für den miserablen Bildungserfolg derer, die im unteren Viertel der PISA-Ergebnisse gelandet sind, ihren extensiven "Bildschirmmedienkonsum" verantwortlich macht.
Medien jedenfalls - ob neu oder alt - verursachen von sich aus weder Dummheit noch Übergewicht noch sonst etwas Erwünschtes oder Unerwünschtes. Davon aber scheint Spitzer überzeugt. Denn im Unterschied zu anderen "Neue-Medien-Warnern" möchte Spitzer noch nicht einmal den Computer in der Schule zulassen, wo doch ein "ungefährlicher" nicht dick machender Umgang mit ihm gelernt werden könnte. Denn - so meint der Hirnforscher -, "Computer können das sinnvolle Lernen von Zusammenhängen nicht fördern." Von alleine natürlich nicht.

Sonntag, 26. Februar 2006

Verdrängung

Auf der Heimfahrt gestern las ich verschiedene Sachen in der ZEIT zum Freudjahr. Da unterhielt sich z.B. ein eher fortschrittlicher
Neurowissenschaftler mit dem Erinnerungsspezialisten Harald Welzer. Immerhin kamen sie zu dem Schluß, daß die Gesellschaft in den Gehirnen stattfindet. Aber sie wissen nicht, wie sie hineinkommt - das ist das Problem. Sie kennen Vygotskij nicht. Und drum suchen sie das Gesellschaftliche direkt im Gehirn. Kein Wunder, daß sie es nicht finden. Jetzt will der Neurofritze Patienten während der Psychoanalyse in den Kernspintomographen legen und hofft, dann das Gesellschaftliche zu sehen...
Es ist unglaublich! Es scheint, als wäre die kulturhistorische Schule noch mehr aus dem kollektiven Gedächtnis verdrängt als Marx.

Mittwoch, 22. Februar 2006

UN - Schulinspektion

Obwohl die Kultusministerien sich bemüht hatten, dem UN-Sondergesandten für Bildung auf seiner Inspektionsreise durch Deutschland nur die potemkinschen Dörfer deutschen Schulen zu zeigen, die irgendwie besonders und alternativ sind, war es Vernor Munoz Villalobos nicht zu verheimlichen, daß hierzulande keine Chancengleichheit im Schulwesen herrscht. Im Interview mit der TAZ bescheinigt der UN-Schulinspektor aus Costa Rica: "Es geht nicht nur um Sprachförderung. Es handelt sich um eine soziale Diskriminierung. Die Aufstiegschancen der Bevölkerungsgruppen sind sehr unterschiedlich verteilt. Darum geht es, man muss jetzt entschieden dagegen vorgehen." Keinen Zweifel läßt er daran, daß er das gegliederte Schulsystem und die frühe Auslese nicht für geeignet hält, die Lernpotenziale aller Kinder auszuschöpfen. Auch die vielen Sonderschulen hält er nicht für sinnvoll. "Man muss sich jetzt entscheiden, was man will: Kindern aller Begabungen eine Chance geben - oder sie als Last empfinden. Und dann sollte Deutschland unbedingt die Vorbehalte zurückziehen, die es immer noch gegen die UN-Kinderrechtskonvention hat."

Hören Sie, Frau Schavan? Hören Sie, Frau von der Leyen, Frau Dinges-Dierig, Herr... Frau...? Jetzt wird's aber wirklich Zeit. Wer soll denn noch zu Ihnen sprechen, damit Sie's endlich ernst nehmen und ihre Truthiness aufgeben?

Im Küchenkabinett
gibt es einen schönen Beitrag dazu.

Dienstag, 7. Februar 2006

Mensch Milchmädchen!

möchte man ständig ausrufen, wenn es um die fehlenden Ausgaben und Fehlausgaben im Bildungsbereich geht.

Wolfgang Tietze, Prof. an der FU Berlin, Mitautor des 12. Kinder- und Jugendberichts der Bundesregierung und Erfinder des Kita-TÜV, verdeutlicht im Interview mit der ZEIT, daß es nur "2,7 Milliarden Euro zusätzlich im Jahr kosten [würde], die benötigten Plätze [für einen garantierten Kitaplatz von Geburt an, LR] zu finanzieren. Das müsste unsere Gesellschaft doch stemmen können! Zum Vergleich: Die Hartz-Reformen kosteten den Staat unvorhergesehene sechs Milliarden Euro mehr." Und damit endlich klar ist, daß Investitionen in die kollektive Früherziehung kein rausgeschmissenes Geld sind: "Eine berühmte amerikanische Langzeituntersuchung zeigt, dass jeder Dollar, den der Staat in eine gute Kindergartenerziehung inverstiert, sieben Dollar Rendite abwirft. Die Kinder sind besser in der Schule, sie haben später bessere Jobs, zahlen mehr Steuern, sind seltener kriminell." Was ist aber eine gute Kita-Erziehung? Dazu Tietze: "Waschmaschinen, Schneeketten, Schönheitscremes: Alles wird bei uns regelmäßig kontrolliert und getestet, die Qualität unserer Kindergärten nicht. Was wir haben, sind Eindrücke, lokale Stichproben und Einzelstudien, wie die unsrige aus dem Jahr 1998, die zeigt, dass nur rund 30 Prozent der Kindergärten gute Qualität aufweisen." Und: "Deutschland ist nun einmal das Land mit dem niedrigsten Niveau der Erzieherinnenausbildung in Europa."

Tietze fordert darum neben einem garantierten Kita-Platz von Geburt an und einem besseren Betreuungsschlüssel mindestens einjährige Fortbildung als Systementwicklung der Einrichtungen sowie Hochschulausbildung mindestens der Kita-Leitungen. Für ein hochentwickeltes Land in Mitteleuropa meines Erachtens Minimalstandards. Zum Vergleich: In Finnland hat jedes Kind von Geburt an das Recht auf einen kostenlosen Ganztagskindergartenplatz mit der Betreuung durch an der Hochschule ausgebildete Erzieher(innen). Es geht also - warum nicht bei uns?

Auf die Vorschläge und Pläne der Parteien zur besseren Betreuung und Bildung von Vorschulkindern angesprochen sagt Tietze: "Es kommt (...) weniger darauf an, schöne Papiere zu schreiben, als die Praxis zu verändern."
Sein Wort in Regierungs Ohr!

Samstag, 4. Februar 2006

Hamas

Lange hat es gebraucht, bis die Hamas hier ernst genommen wurde. Häufig wird ihre ideologische und organsiatorische Quelle - die Muslimbruderschaft weiterhin unterschätzt und verharmlost. Dazu vgl. den Beitrag hier in shift. aus dem letzten Jahr.
Oft wird zwar über Hamas geschrieben, selten jedoch aus ihrer Gründungscharta (1989) zitiert. Diese gilt nach wie vor und ist die politische Plattform, die Sinn und Zweck der Hamas und die Mittel zu deren Erreichung klar definiert. Zur Interpretation der Charta und zur Analyse des Charakters der Hamas, sowie zur Geschichte der Muslimbrüder und der Entstehung des spezifischen islamischen Antisemitismus sei nach wie vor als erste Adresse die Website von Matthias Küntzel empfohlen.

Wie deutlich die Charta der Hamas über den einzigen Sinn der Hamas - nämlich den der Vernichtung Israels - spricht, davon kann man sich aus dem sonst merkwürdigerweise selten veröffentlichten Text hier auszugsweise überzeugen:

Charta der Hamas

"Vorwort: Erniedrigung wurde den Juden verordnet ... und der Zorn Allahs wird auf sie fallen ... Elend überkommt sie, weil sie nicht an das Wort Allahs glauben und die Propheten grundlos töteten ..." (Sure el-Umran, 109-111). 'Israel wird existieren und weiter existieren, bis es der Islam vertreibt, so wie der Islam die Vorgänger Israels vertrieben hat.' (Imam Hassan e-Banna) [Gründer der Muslimbruderschaft, LR]

Artikel 1: Die Islamische Widerstandsbewegung [Hamas] ist ein Flügel der Moslembruderschaft in Palästina. (...)

Artikel 6: Die Islamische Widerstandsbewegung [Hamas] ist eine rein palästinensische Bewegung, die Allah treu ist ... und das Banner Allahs über jedem Zentimeter Palästinas hissen will. [Gemeint ist mit Palästina natürlich immer auch das Territorium Israels]

Artikel 7: Die Islamische Widerstandsbewegung [Hamas] ist ein Glied in der Kette des Heiligen Krieges gegen die zionistische Invasion ... Allahs Bote sagte, es wird die Zeit kommen, wenn die Moslems gegen die Juden kämpfen und sie besiegen. Und die Juden werden sich hinter Steinen und Bäumen verbergen. Die Steine und Bäume sagen: Oh Moslems, Diener Allahs, kommt und tötet den Juden, der sich hinter mir verbirgt.

Artikel 8: Sinn und Zweck der Islamischen Widerstandsbewegung [Hamas] liegt in Allah. Sein Bote ist unser Vorbild, der Koran unsere Verfassung, der Heilige Krieg unser Weg, der Tod im Dienste Allahs unser höchstes Ziel.

Artikel 11: Für die Islamische Widerstandsbewegung [Hamas] ist Palästina islamisches Vermächtnis, den Moslems anvertraut bis zum Jüngsten Gericht. Weder das Ganze, noch ein Teil davon darf verlassen oder aufgegeben werden. (...)

Artikel 13: Die Preisgabe eines Teiles von Palästina ist wie die Preisgabe eines Teiles der Religion. ... Für das palästinensische Problem gibt es keine Lösung außer dem Heiligen Krieg. Initiativen, Resolutionen und internationale Konferenzen sind nutzlose Zeitvergeudung.

Artikel 14: Palästina ist islamisches Land, dem sich die ersten Moslems beim Gebet zuwendeten, unter den heiligen Orten an dritter Stelle. ... Deshalb ist seine Befreiung persönliche Pflicht eines jeden gläubigen Moslems.

Artikel 15: Gegen den Raub Palästinas durch die Juden gibt es nur eine Rettung: die Flagge des Heiligen Krieges hissen."

Zit.n.: Schreiber, Friedrich, Aufstand der Palästinenser - die Intifada, Opladen 1990, S. 119f

Nachtrag am 9.2.06
Artikel 22: “Die Feinde [die Juden] haben lange Zeit Ränke geschmiedet ... und riesigen, bedeutungsvollen, materiellen Reichtum angesammelt. Mit ihrem Reichtum haben sie weltweit die Kontrolle über die Medien übernommen, ... mit ihrem Geld haben sie in verschiedenen Teilen der Welt Revolutionen gesteuert ... Sie standen hinter der Französischen Revolution, der Russischen Revolution und den meisten anderen Revolutionen ... Mit ihrem Geld bildeten sie geheime Organisationen, z. B. die Freimaurer, die Rotary Clubs und die Lions Clubs, welche über die ganze Welt ausgebreitet sind, um Gesellschaftssysteme zu zerstören und zionistische Interessen wahrzunehmen ... Sie standen hinter dem I. Weltkrieg und bildeten den Völkerbund, mit welchem sie die Welt regierten. Sie standen hinter dem II. Weltkrieg, durch den sie riesige finanzielle Gewinne erzielten ... Sie sind die Drahtzieher eines jeden irgendwo in der Welt geführten Krieges."

Das ist nicht Antizionismus oder Widerstandskampf gegen israelische Unterdrückungspolitik, das ist Antisemitismus pur - und zwar von der übelsten, der eliminatorischen Sorte.

Freitag, 3. Februar 2006

Aktualisierung: Medienrealität in der Schule

Das Schulblog des Gymnasiums Blomberg hat sich mächtig entwickelt seit meinem Besuch im November letzten Jahres! Inzwischen hat man dort auch auf meinen Begrüßungs-Eintrag reagiert. Interessant und mit corredors Beitrag hier in shift. thematisch verwandt ist ein Admin-Beitrag in Blomberg über den Wunsch nach mehr Kommunikation und Meinungsaustausch, den Schüler geäußert haben. Gefragt wird hier: "Mehr Interaktion auf der Schulwebsite - aber welche?"
Ein technisches Problem ist es ganz sicher nicht.
Aber offenbar hat es auch nichts damit zu tun, daß etwa die avanciertesten Tools nicht zur Verfügung stehen würden. Womit also? Ich bin gespannt darauf, wie es weiter geht ...

Mittwoch, 1. Februar 2006

Evaluation und Feedback

Evaluation ist das Lieblingswort der Schulentwickler geworden. Richtig: Man muß den Stand einer Sache kennen, wenn man sie weiterentwickeln will. Man muß herausfinden, was schief läuft, und warum, wenn man Hindernisse für eine positive Entwicklung aus dem Weg räumen möchte.
Nun ist es vom Testen dessen, was bei den Schülern nach erfolgtem Unterricht an Leistung "hinten rauskommt", noch ein weiter Weg bis zum Auffinden der Ursachen für die schlechten Leistungen der deutschen Schüler, und erst Recht bis zum Auffinden und Einsetzen der richtigen Lösungen zur Beseitigung dieser Ursachen.

Inzwischen ist man wenigstens soweit, daß auch dem Schüler das Wort zur Sache erteilt werden soll. Schülerfeedback hat bei uns allerdings keine Tradition. Und so kommt dieses für Schulqualitätsmessung unverzichtbare Instrument erst neuerdings ganz vorsichtig in der Praxis an - zunächst begrenzt auf direktes Feedback zum Unterricht und zum Lehrer. Einige schon etwas ausgebildetere Modelle zum Schülerfeedback, die nicht nur den einzelnen Unterricht, sondern darüberhinaus auch das Schulleben insgesamt betreffen, findet man z.B. hier oder im Otto-Nagel-Gymnasium
Diese Schule praktiziert außerdem die Aushandlungsrunde / Schüler-Eltern-Lehrer-Forum, ein Demokratie-Instrument, das auch als Bestandteil des Schulprogramms festgeschrieben ist. Das SELF ist ein gemeinsames Forum für Schüler, Lehrer und Eltern, das "Probleme erfasst und durchdenkt, nach Lösungsansätzen sucht und diese in den entsprechenden Gremien einbringt. Ergebnis dieser Arbeit sind der digitalisierte Fragebogen für Lehrer und Schüler zur Unterrichtsevaluation, Weiterbildungsveranstaltungen für die Schülersprecher, die Umstrukturierung der Schülervertretung, die Veränderung der Pausenzeiten, die Einrichtung eines Kümmerkastens für die Eltern und das Projekt "Schüler unterrichten Schüler"".

Die Feedbacksoftware, die von Schülern der Otto-Nagel-Schule entwickelt wurde, kann unter der Telefonnummer Tel: 030/5143864 nachgefragt werden.

Wie halten es eigentlich die Finnen, die Sieger der PISA-Evaluation mit Evaluation und Feedback?

"Das finnische Schulsystem ist durchdemokratisiert" nannte Pekka Arinen, Projektmanager des Evalutionszentrums für Bildung der Universität Helsinki
in seinem Vortrag (ppt, 146 KB) im Finnlandinstitut in Berlin am 25.11.2005
als den ersten Grund für den Erfolg der finnischen Schüler. Dazu gehört, daß sich jede Schule jedes Jahr neu selbst evaluiert. (Dafür wurde die Schulinsprektion – die bei uns nun gerade erst Recht eingerichtet wird – als überflüssig, ja kontraproduktiv erachtet und abgeschafft.) Die Schule – das ist die Schulcommunity, - führt also die Evaluation unter und mit Schülern, Lehrern und Eltern anhand hoch ausdifferenzierter Fragebögen durch, die nicht nur die Qualität des Unterrichts, sondern die des gesamten Schullebens betreffen. Dass es sich dabei nicht um unhistorische, punktuelle Feedbacks ohne Nachhaltigkeit handelt, kann man z.B. an folgender Frage aus dem Schülerbogen erkennen: "Hat sich der Lehrer aufgrund der Kritik aus dem letzten Feedback verbessert?"
Für eine maximale Wirkung auf nationaler Ebene werden sie im Evaluationsrat wissenschaftlich ausgewertet, deren Mitglieder neben renommierten Erziehungswissenschaftlern aus allen am Erziehungsprozess direkt oder indirekt beteiligten Gruppen bestehen.

Das Geheimnis für den Erfolg des finnischen Schulwesens:
Ein radikaler Systemwechsel (ppt, 208 KB) zu Beginn der 90er Jahre von dem bis dahin auch in Finnland geltenden traditionellen, dreigliedrigen aus Preußen stammenden Schulsystem der zentralisierten externen Entscheidungen und Kontrollen zu dem selbst bestimmten, sich selbst steuernden und sich selbst evaluierenden System, das es heute ist. Dieser radikale Systemwandel ist ein mindestens zehnjähriger Prozess gewesen und bis heute nicht abgeschlossen. Aber er hat nur stattgefunden, weil er seinerzeit als radikaler Wandel beschlossen wurde. Radikal, das gesamte nationale Bildungssystem umfassend, geplant und in allen seinen vielleicht auch schwierigen Konsequenzen gewollt und durchgeführt.

Beim Mittagessen traf ich einen Kollegen, der sich mit dem hiesigen Geschäft der Schulentwicklung gut auskennt. Ich fragte ihn, warum denn die deutschen Entwickler, wenn sie denn überhaupt aus ihrem Land und nicht bloß aus ihrem Bundesland herausschauen wollen, immer so gerne in die Schweiz und nach Österreich als Vorbilder gucken. Liegt das daran, daß sie des Englischen nicht mächtig sind?
Nein, sagt er, das liegt daran, daß die beste Lösung, nämlich die aus Skandinavien, einen so fundamentalen Wandel erfordert, davor fürchtet man sich, denn es könnte Konsequenzen haben und weh tun. Drum nimmt man lieber die nächstbesten Lösungen, wo man nicht so viel verändern muß und das meiste beim Alten bleiben kann.

Tja, dann werden wohl auch die Schülerleistungen beim Alten bleiben.

Sonntag, 22. Januar 2006

falsche Kinder - richtige Kinder

Ach, jetzt ist es heraus! Wir haben nicht zu wenige Kinder in Deutschland - wir haben zu wenig von den richtigen! Die richtigen Kinder - die guten - das sind deutsche Kinder, ethnisch deutsche Kinder. Aber das reicht nicht, um ein gesellschaftlich erwünschtes Kind zu sein. Nahain! Das gute (Du bist Deutschland-) Kind muß außerdem ein "Mittelstandskind" sein. Denn sonst gibt es nicht viel Elterngeld. Und noch was ist wichtig für ein Kind zu wissen, wenn es ein für Deutschland gutes und in Deutschland erwünschtes Kind werden will: Es muß zwei Eltern zu Hause haben, die Arbeit haben. Denn sonst gibt es die Steuervorteile nicht. Man kann sich seine Eltern ja nicht vorsichtig genug aussuchen! Also denk daran, Kind, wo du hinkommst, denn wenn du die falsche Wahl triffst, wenn du versehentlich an eine Alleinerziehende, an Arbeitslose, in die"Unterschicht" und - Gottbehüte! - an Immigranten als Eltern gerätst - dann wäre es vielleicht besser, du würdest überhaupt nicht in dieses Land geraten. Denn der deutsche "Mittelstand" stirbt aus. Und der ist Deutschland, denn er ist Leistungsträger und sein Nachwuchs wird Rentenzahler. Und darauf kommt es an. Und drum richtet sich jetzt alle Familienpolitik und Demografiepolitik auf diesen "Mittelstand".

Susanne Gaschke findet das im Leitartikel der Zeit ja vollkommen in Ordnung. Zwar fließt ihr folgende Information mühelos aus der Feder:
"Statistisch ist es unbestreitbar: Die sozial Schwächeren bekommen nach wie vor Kinder; die Stärkeren, die es durch ihre Bildung und ihr Einkommen oft leichter hätten, ihrem Nachwuchs gute Startchancen zu geben, halten sich zurück."
Aber weil sie wie üblich die beiden zusammengehörenden Bereiche Bildungspolitik und "Demografisches Problem" nicht zusammendenken kann, fällt ihr an ihrem eigenen Satz gar nicht auf, was sie da Verrücktes denkt: Nämlich, daß es offenbar falsche und richtige Kinder für Deutschland gibt. (Auch früher hatte man das schon so gesehen und darum zwischenzeitlich den "Assozialen" das Gebären verboten und den Lebensborn für die "richtigen" erfunden.)
Und noch etwas springt ins Auge: Susanne Gaschke denkt, daß die Eltern in einer Gesellschaft allein für die "Startchancen" ihrer Kinder zuständig sind. Und vermutlich denkt sie auch, daß kluge, gebildete und leistungsstarke Erwachsene eben nur aus Kindern werden können, die ihrerseits kluge, gebildete und leistungsstarke Eltern hatten. Und daß das naturgegeben eben so ist. Und daß es keine Möglichkeit gibt, aus den vielen Kindern, die es bei uns in den "sozial schwachen" Familien gibt, noch kluge, gebildete und leistungsstarke Erwachsene zu machen. Wohlgemerkt: Diese Kinder existieren - es sind mehr als 20 Prozent der Kinder, die es schon gibt!! Aber, wie gesagt, es sind anscheinend die falschen, und offenbar bleiben sie es, und drum bringen sie nichts. Und das ist nicht gut. Und drum begrüßt Susanne Gaschke die Familienpolitik der Regierung, denn die will die guten Eltern mit ordentlich Geld zum Gutekinderkriegen verführen.

Wäre das toll, wenn das Geld, mit dem die Regierung die arbeitenden Mittelstandspaare zum Richtigekinderkriegen einkaufen will, in das Bildungssystem gesteckt würde, das geeignet ist, alle Kinder, die schon da sind, zu klugen, gebildeten und leistungsstarken Erwachsenen zu machen! Und das würde nicht einmal mehr kosten als das Schmiergeld, das dem Mittelstand fürs Gebären bezahlt werden soll. Man muß nur besser rechnen können als ein Milchmädchen. Das ist klar. Dabei müßte man sich das neue Bildungssystem noch nicht mal selber ausdenken! Nein, es würde schon reichen, wenn man endlich mit der Legende Schluß machte, die da heißt: Finnland schön und gut, aber wir sind eben nicht Finnland, und bei uns geht das nicht.
Nein, das stimmt. Wenn man es nicht will, dann geht es auch nicht.

Ergänzung: Beim Spielverderber
kann man sich die alternativen Zukunftsmöglichkeiten ansehen ...
Bild: Ivan Montero / fotolia

shift.

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